Thema 3
Erörterung eines Sachtextes
Thema: Ewa Trutkowski (* 1973): Wer nicht gendert, landet im Abseits (2020) Aufgabenstellung:- Fasse den Argumentationsgang des vorliegenden Textes zusammen und erläutere dessen Intention. (ca. 40 %)
- Erörtere die Position der Autorin und beziehe die Auswirkungen des Genderns auf die Kommunikation in privaten und beruflichen Zusammenhängen ein. (ca. 60 %)
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Gendern, also die Nutzung sogenannter gendergerechter Sprache, kann als Konsequenz der
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Vermengung des Merkmals Genus mit dem Merkmal Sexus angesehen werden. Die Linguistin
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Elisabeth Leiss hat diese Vermischung bereits 1998 als „Sexualisierung bzw. Sexierung der
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Grammatik“ gebrandmarkt. Aber die unter anderem auf Jacob Grimm zurückgehende
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Grundidee, wonach das natürliche Geschlecht (= Sexus) dem grammatischen Geschlecht
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(= Genus) vorausgeht, ist aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs kaum mehr wegzudenken,
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und spätestens seit einige Institutionen und Verwaltungen den Gebrauch gendergerechter
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Sprache vorschreiben, ist diese Diskussion in der Praxis auch jener Sprachverwender
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angekommen, die damit nie etwas zu tun haben wollten.
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Objektiv betrachtet, möchten die Verfechter einer genderneutralen Sprache nichts anderes,
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als alle nichtmännlichen Mitmenschen „zu Wort kommen" zu lassen. Der teilweise vehemente
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Einsatz für eine veränderte Sprachnorm speist sich vor allem daraus, sprachliche Ungleichheit
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mit sozialer Ungleichheit zu verknüpfen und letztere durch Umkehrung der ersteren eliminieren
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zu wollen. Das ganze Projekt ist also durchweg gut gemeint. Nur leider ist gut gemeint nicht
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gleich gut, denn die Befürworter des Genderns sitzen einigen Irrtümern und
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Fehleinschätzungen auf.
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Die meisten davon sind in der eingangs erwähnten Vermengung von Genus und Sexus
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begründet, deshalb zur Klarstellung: Einen Genus haben nahezu alle Nomen und etliche
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Pronomen des Deutschen – dabei ist es unerheblich, ob das Bezeichnete belebt oder unbelebt
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ist. Man denke nur an den maskulinen Löffel, die feminine Gabel oder das neutrale Messer.
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Das Genus eines Nomens kann zwar regional schwanken (wie bei „die/der Butter“), aber
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generell sind Nomen genusfest.
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Sexus hingegen ist, wie man an „Mensch“, „Person“ oder „Mitglied“ sieht, kein obligatorisches
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Merkmal und über Wortbildungselemente wie „-erich“ (in „Enterich“) oder „-in“ (in
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„Teilnehmerin“) frei hinzufügbar. Es gibt Sexus auch nur in den Varianten männlich oder
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weiblich, und da er das biologische Geschlecht anzeigt, ist Sexus eine exklusive Eigenschaft
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belebter Entitäten – das schreibt schon Luise Pusch in einem Artikel aus dem Jahr 1980, in
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dem sie sich über eine potenzielle, aber eben nicht existente „Staubsaugerin“ lustig macht.
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Die „Staubsaugerin“ zeigt uns, genau wie die „Motorin“, dass sich das weiblichen Sexus
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anzeigende Suffix „-in“ nur mit belebten Nomen verbinden kann. Wenn es jedoch nach den
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Sprachpflegern der Stadtverwaltungen in Hannover und Lübeck geht, ist eine Institution wie
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die Kirche nicht mehr als „Arbeitgeber", sondern als „Arbeitgeberin" zu bezeichnen und eine
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Stadt nicht mehr „Herausgeber“, sondern als „Herausgeberin“ eines Leitfadens für sogenannte
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gendersensible Sprache. Wortwörtlich heisst es darin: „Institutionen, die einen weiblichen
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Artikel haben, sollten grammatikalisch korrekt behandelt werden.“
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Diese Anweisung zur Hyperkorrektheit lässt befürchten, dass die Macher der teilweise
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gleichlautenden Leitfäden von Lübeck und Hannover weder Linguisten noch Linguistinnen
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waren. Institutionen sind einfach keine belebten Entitäten, und insofern ist es auch keine
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Überraschung, dass ihre Sexualisierung der Intuition von Sprachnutzern widerspricht – die
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präferierte generische Form hingegen vermeidet den hier unangebrachten Bezug auf das
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natürliche Geschlecht.
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Dass der Verweis des Lübecker Leitfadens auf grammatikalische Korrektheit im Grunde
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peinlich ist, stellt man spätestens dann fest, wenn man ihn weiterliest: „Bei Pronomen schleicht
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sich oft die männliche Form ein, doch auch hierfür gibt es kleine, unkomplizierte Lösungen.“
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Vorgeschlagen wird, „jeder/jede“ durch „alle“ oder „jemand“ und „keiner“ durch „niemand“ zu
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ersetzen: Dumm nur, dass sowohl „jemand“ als auch „niemand“ Pronomen mit maskulinem
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Genus sind, was ungrammatische Sätze wie „Hier ist niemand, die sich auskennt“ zeigen. [...]
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Zu glauben, durch eine veränderte Sprachnorm politische Versäumnisse heilen und soziale
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Realitäten umstülpen zu können, ist eine Illusion: Es werden nicht mehr Frauen in
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Lastwagencockpits steigen, wenn man fortan von „Lastwagenfahrenden“ oder
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„Lastwagenfahrerinnen und Lastwagenfahrern“ spricht, solange zukünftige Kapitäninnen der
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Landstrasse das Steuer nicht selbst in die Hand nehmen wollen.
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Im Übrigen wird oft vergessen, dass Gendern eine Sprachhandlung ist, die sich aus der
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Überzeugung ableitet, das Maskulinum habe keine generische Bedeutung. Wer gendert und
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eine maskuline Form benutzt, kann folglich nur die spezifisch männliche Lesart im Sinn haben.
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Diese triviale Konsequenz wird jedoch von den wenigsten zu Ende gedacht, denn sie bedeutet,
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dass sich generische Lesart des Maskulinums und Gendern gegenseitig ausschliessen. [...]
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Ungeachtet aller vorgebrachten Argumente liesse sich nun einwenden, es sei einfach ein
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Gebot der Höflichkeit, Menschen gendersensibel anzusprechen. Aber ist dieser sich oft
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moralisch kleidende Impetus wirklich ein alltagstaugliches Argument? In der Praxis ist die
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Faulheit ja doch stärker als die Moral, und umständliche Gender-Formulierungen widerstreben
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nun einmal sprachlichen Ökonomieprinzipien. Auch dass ausgerechnet die unmarkierte, oft
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kürzere maskuline Form und nicht die feminine Form die generische ist, zeugt von sprachlicher
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Ökonomie.
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Daher sei hier die folgende Prognose gewagt: Ob (dynamischer) Unterstrich, Genderstern,
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Binnen-I, Doppelpunkt, Beidnennung oder generisches Femininum – nichts davon wird sich in
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der Sprachgemeinschaft durchsetzen, denn nicht die Schaffung, sondern die Vermeidung
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unnötiger Komplexität ist eine der Haupttriebfedern für Sprachwandel. Man schaue sich zum
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Vergleich den Gebrauch des Konjunktivs und mancher Tempusformen an: Wer ausser
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emsigen Deutschlernern weiss überhaupt, dass Formen wie in „Maria sagte, dass du
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gegangen sein werdest" existieren? So schön es auch wäre, wenn es klappte, sie zu
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benutzen – in der sprachlichen Realität gelingt es einfach nicht.
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Schon allein aus diesem Grund sollten wir das generische Maskulinum nicht ablehnen, denn
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keine geschlechtergerechte Form ist so ökonomisch wie praktikabel. Das zeigt sich zuvorderst
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daran, dass die Vorgaben des Hannoverschen Leitfadens nicht einmal auf der Website der
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Stadt umgesetzt werden, wo nach wie vor von einem Bürger-Service oder Künstlern und
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Veranstaltern die Rede ist. Denkt hier wirklich jemand, dass nichtmännliche Personen dadurch
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ausgeschlossen werden? Wohl kaum. Aus diesem Grund sollten sich alle, die das generische
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Maskulinum gern abschaffen möchten, die Frage stellen, ob ein Verzicht auf die Sexus-Suffixe
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„-in“ und „-erich“ letztlich nicht klüger wäre. Es würde zwar eine Verarmung der deutschen
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Sprache bedeuten, wer aber das Sexistische bekämpfen möchte, sollte beim Sexus und nicht
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beim Genus anfangen.
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Was die Diskussion um das generische Maskulinum und gendergerechte Sprache am meisten
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vergiftet, ist jedoch nicht der Kampf um die besseren Argumente im akademischen Diskurs,
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sondern deren politische Anheimstellung. Es ist deprimierend, zu beobachten, wie
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wissenschaftliche Debatten durch moralisierende und politisierende Rekurse geistig
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enthauptet werden. So auch hier: Wer gendert, ist lieb und links. Wer es nicht tut – und auch
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nicht tun will –, böse und rechts.
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Natürlich, Gendern polarisiert, und es gibt hier keinen leisen Mittelweg, auch nicht über die
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Vermeidung generischer Maskulina durch eine semantisch widersinnige und in den meisten
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Fällen ziemlich lächerliche Flucht in die Partizipbildung (die „Mitarbeitenden“, „Verkaufenden“
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und „Studierenden“ lassen schön grüssen). Doch war Gendern bisher ein Signet
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selbstverantwortlicher politischer Verortung, bekommt der, der es nicht tut, mittlerweile auch
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einen Stempel aufgedrückt. Grund hierfür ist die mit einer überheblichen Gerechtigkeitsattitüde
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vorangetriebene Institutionalisierung der Gendersprache durch Parteien, Verwaltungen und
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Universitäten (keine, die keinen Leitfaden hat) – wer sich nicht beugt, gerät schnell unter
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Verdacht.
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Das mag die Rechte freuen, doch am meisten freut es diejenigen, welche schon immer der
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Meinung waren, Gendern mache sie zu moralisch besseren Menschen. Auch einige Linguisten
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möchten sich, wie es scheint, hier einreihen: Sie verlinken die Kritik an Gendersprache mit
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traditionellen Gesellschaftsvorstellungen und weisen denjenigen, die sich aus was für Gründen
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auch immer gegen die Verwendung sogenannter gendergerechter Sprache aussprechen,
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implizit ein Plätzchen in der politisch konservativen bis rechten Ecke zu. Mit intellektueller
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Differenziertheit oder gar Wissenschaft hat das nicht viel zu tun, aber es passt zu der
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Allgemeinen Tendenz, Wissen durch Haltung und Erkenntnis durch Betroffenheit zu ersetzen.
Aus: Trutkoswki, Ewa: Wer nicht gendert, landet im Abseits. In: Neue Zürcher Zeitung, 22. Juli 2020, S. 26.
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Einleitung
- Der Artikel Wer nicht gendert, landet im Abseits erscheint am 22. Juli 2020 in der Neue Zürcher Zeitung.
- Geschrieben ist der vorliegende Text von Ewa Trutkowski, einer Sprachwissenschaftlerin aus Baden-Württemberg, die sich bereits seit einigen Jahren mit der linguistischen Forschung im Gebiet des Genderns beschäftigt.
- Ewa Trutkowski behandelt in ihrem Text die Frage, ob das Gendern von Sprache Voraussetzung dafür ist, Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Sie hinterfragt kritisch, inwiefern es notwendig ist, das Gendern zu etablieren und stellt in ihrem Artikel dar, worin sich für sie Probleme mit dem Gendern von Sprache ergeben.
Hauptteil
Zusammenfassung des Textes- Gendern prangert die Linguistin Elisabeth Leiss bereits 1998 an, indem sie von einer „Sexualisierung bzw. Sexierung der Grammatik“ (Z. 3 f.) spricht. Die Grundidee, dass das biologische Geschlecht (Sexus) dem grammatischen Geschlecht (Genus) vorausgeht, ist fest im gesellschaftspolitischen Diskurs verankert.
- In jüngster Zeit haben einige Institutionen und Verwaltungen den Gebrauch von gendergerechter Sprache zur Pflicht gemacht, was dazu führt, dass auch Personen, die zuvor keine Berührungspunkte damit hatten, sich dieser Diskussion nicht länger entziehen können. Trutkowski möchte mit dieser Einleitung ihres Artikels aufzeigen, dass die Genderdebatte elitäre Tendenzen aufzeigt und neben der eigentlichen Intention, Gleichberechtigung zu schaffen, auch Sprachgruppen, die etwa ausschließlich der leichten Sprache mächtig sind, exkludiert.
- Trutkowski merkt an, dass rein „objektiv betrachtet“ (Z. 10) die Befürworter*innen einer genderneutralen Sprache danach streben, allen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, eine Stimme zu geben. Ihr Einsatz für eine veränderte Sprachnorm basiert auf dem Ziel, sprachliche Missstände mit sozialen Missständen gleichzusetzen und diese durch die Umkehrung der sprachlichen Missstände zu beseitigen. Obwohl Gendern gute Absichten besitzt, bedeutet dies nämlich nicht automatisch, dass es auch gute Ergebnisse erzielt. Im Zuge der Genderdebatte passieren seitens der Befürworter*innen laut Autorin jedoch einige Fehler und Fehleinschätzungen. Trutkowskis Intention ist es, mit sprachwissenschaftlich fundierten Argumenten solche Fehler im Zuge dieses Artikels zu erläutern.
- Dass Nomen größtenteils genusbedingte und festgelegte Artikel besitzen – dialektale Unterschiede ausgenommen wie beispielsweise die Unterscheidung im Österreichischen und Deutschen (Vgl. das vs. der Joghurt, die vs. der Butter) – überrascht nicht. Das Geschlecht, also der Sexus eines Wortes, lässt sich allerdings beliebig verändern, „wie man an [Nomen wie] ‚Mensch‘, ‚Person‘ oder ‚Mitglied‘ sieht“ (Z. 23). Diese Anpassung greift nur für Lebendiges, da etwa die Verweiblichung eines Stuhls unsinnig wäre (Vgl. Luise Puschs Artikel aus dem Jahr 1980). Alle Nomen also durchweg zu gendern, sieht Trutkowski als wenig sinnvoll an, vielmehr ist in ihren Augen eine Differenzierung notwendig.
- Die Sprachwissenschaftlerin beleuchtet den Umstand, dass in Städten beispielsweise in „Lübeck und Hannover“ (Z. 37) inzwischen vorausgesetzt wird, dass „Institutionen [...] [mit] weiblichen Artikel[n]“ (Z. 34) entsprechend eine feminine Variante erhalten sollen, sodass etwa die Kirche anstatt eines „Arbeitgebers“ (Z. 32) künftig zur „Arbeitgeberin“ (Z. 32) werden soll. Trutkowski nennt diesen Ansatz eine „Anweisung zur Hyperkorrektheit“ (Z. 36) und ihrer Meinung nach widerspricht hier eine Anpassung an die weibliche Form mit dem intuitiven Schreibfluss.
- Nicht nur der Versuch, auf vermeintlich geschlechterneutrale Pronomen wie „niemand“ (Z. 45) zurückzugreifen, führt zu Problemen, da selbst diese Pronomen einen maskulinen Artikel besitzen. Es werden Lösungen vorgeschlagen, um geschlechtsneutrale Pronomen zu verwenden, aber diese Lösungen sind ungrammatisch. Auch die Intention hinter dem Gendern, für eine etablierte Gleichberechtigung von (marginalisierten) Geschlechtern zu sorgen, schlägt fehl.
- Trutkowski verdeutlicht, dass das Gendern eine sprachliche Handlung ist, die aus der Überzeugung resultiert, dass das Maskulinum keine allgemeine Bedeutung besitzt. Wenn jemand gendert und dabei eine maskuline Form verwendet, impliziert dies, dass die Person lediglich die spezifisch männliche Interpretation im Sinn hat. Dass sich dadurch die allgemeine Bedeutung des Maskulinums und das Gendern gegenseitig aufheben, wird oftmals außer Acht gelassen.
- Als „umständliche Gender-Formulierungen“ (Z. 61) beschreibt die Schriftstellerin des vorliegenden Textes die Anpassung des generischen Maskulinums. Sprache und Sprachwandeln funktionieren nach dem Ökonomieprinzip und Gendern widerspricht dieser Maxime. Trutkowski ist der festen Überzeugung, eine Vereinfachung und nicht eine Verkomplizierung der Sprache sei zukünftig der Weg, sie schlägt stattdessen „ein[en] Verzicht auf die Sexus-Suffixe“ (Z. 79) vor.
- Besonders kritisch sieht die Linguistin die zunehmende Ideologisierung sowie Politisierung der Genderdebatte. Daraus resultiert ihrer Meinung nach gefährliches Schubladendenken in linke sowie rechte Lager, die eine verstärkende Wirkung auf politische Radikalisierungen zur Folge haben können. So wird Gendern als Gesinnungssprache verwendet und als etwas instrumentalisiert, was mit auf forschungsbasierten sprachwissenschaftlichen Argumenten nichts mehr gemein hat.
Schluss
- Abschließend zeigt Trutkowski, dass die Genderdebatte weit über die Frage der sprachlichen Anpassung hinausgeht und die Gesellschaft tiefgreifend beeinflusst.
- Durch die zunehmende Institutionalisierung des Genderns, sei es in öffentlichen Verwaltungen oder Bildungseinrichtungen, sind mittlerweile weite Teile der Bevölkerung mit dieser Thematik konfrontiert – oft auch unfreiwillig.
- Trutkowski warnt davor, dass das Gendern durch seine ideologische Aufladung nicht nur Sprachbarrieren schafft, sondern auch gesellschaftliche Gräben vertieft.
- Ihre Kritik unterstreicht, dass eine vermeintlich inklusive Sprache zu einer Abgrenzung gegenüber Sprachgruppen führen kann, die sich durch die Komplexität der gendergerechten Sprache ausgeschlossen fühlen.
- Insgesamt appelliert die Autorin dafür, den Fokus auf das Ökonomieprinzip der Sprache zu legen und das generische Maskulinum nicht per se als diskriminierend anzusehen. Ein differenzierter Umgang mit Sprache, der Genus und Sexus sinnvoll trennt und den natürlichen Sprachfluss respektiert, erscheint Trutkowski als zielführender.
- Sie plädiert dafür, dass die gesellschaftspolitische Diskussion zum Gendern weniger von ideologischen Standpunkten geprägt sein sollte, sondern mehr von einer wissenschaftlich fundierten und sachlichen Auseinandersetzung – um so die Sprache sowohl funktional als auch inklusiv zu gestalten.
Teilaufgabe 2
Überleitung
- In Wer nicht gendert, landet im Abseits vertritt Ewa Trutkowski die Position, dass Gendern weitaus mehr Probleme auf kommunikativer Ebene – sowohl in privater als auch beruflicher Hinsicht birgt – als man zunächst annehmen könnte.
- Sie argumentiert, dass zwar die Grundintention des Genderns, nämlich für Gleichberechtigung von marginalisierten Geschlechtergruppen zu sorgen, lobenswert ist, das Thema Gendern jedoch trotz guten Willens auch einige Schwach- sowie Problemstellen aufweist.
- In folgender Analyse wird näher auf die Nachteile des Genderns eingegangen und gleichzeitig werden Trutkowskis Argumente kritisch beleuchtet, um eine umfassende Erörterung Trutkowskis Artikel gewährleisten zu können. Hierbei gilt zu untersuchen, welche Auswirkungen das Gendern auf die Kommunikation in privaten und beruflichen Zusammenhängen besitzt.
Erörterung
Argumentation der Autorin- Es soll vorangestellt werden, dass Trutkowski sowohl über die Effekte von Gendern im Privatleben sowie im Berufsalltag spricht. Gleichermaßen spricht sie über die Auswirkungen auf beide Lebensbereiche und über die damit verbundenen Einschränkungen aus ihrer Sicht.
- Trutkowski selbst steht dem Gendern ohne Frage kritisch gegenüber, was bereits aus der vorangegangenen Erläuterung des Artikelinhalts zu entnehmen ist. Ihrer Meinung nach handelt es sich beim generischen Maskulinum um eine geschlechterabstrahierende Form, die alle biologischen und sozialen Geschlechter mit berücksichtigt.
- Die Linguistin selbst sieht den Bedeutungsbegriff des Genderns als problematisch an, da dieser auf Assoziationsstudien fußt, welche wiederum für sehr subjektives und damit irrelevantes in der Forschung nicht verwertbares Material sorgt. Das eigentliche Ziel des Genderns, dass sich durch Sprache jedes lebende Individuum angesprochen fühlen könnte, steht im Widerspruch zum ihrem Ziel als Sprachwissenschaftlerin, Sprache global anwendbar zu machen.
- So führt die Autorin etwa das Beispiel der „Leitfäden von Lübeck und Hannover“ (Z. 37), die eine Anpassung der Artikel an das jeweilige Geschlecht institutioneller und betrieblicher Einrichtungen vorsieht, an. Laut letzterem Leitfaden müssen Institutionen mit femininem Geschlecht auch feminine Artikel erhalten, sodass die Stadt Lübeck nicht länger als „Herausgeber“ (Z. 33), sondern als „Herausgeberin“ (Z. 33) gewisser Leitfäden bezeichnet werden darf.
- Trutkowski weist auf die damit einhergehenden Komplikationen und die Fehleranfälligkeit des „Lübecker Leitfadens“ (Z. 42) hin, indem sie zum Beispiel bemerkt, dass zwar eine Anpassung femininer Artikel erfolgt, jedoch die Umformung der Sprache bereits beim Inkorporieren maskuliner Pronomen an ihre Grenzen stößt, da es etwa für das Wort „niemand“ (Z. 45) keinen geschlechterneutralen oder femininen Ersatz gibt und fehlerhafte Grammatik das Ergebnis ist.
- Die in Berlin lebende Sprachwissenschaftlerin stellt zudem auch die Relation von sprachlicher und sozialer Gleichberechtigung infrage. Am kritischsten sieht sie hierbei die Umsetzung des Genderns, da das Gendern die deutsche Sprache verkomplizieren, anstatt sie vereinfachen würde. Ihr ist es außerdem zu kurz gedacht, dass die Verwendung einer geschlechterneutralen Sprache automatisch auch für Gleichberechtigung in der gesellschaftlichen Realität sorgen würde.
- Sowohl im beruflichen als auch im privaten Feld stößt man laut Trutkowski als Individuum auf Kommunikationsebenen an seine Grenzen. Genannt seien an dieser Stelle konfuse Berufsbezeichnungen, Unsicherheiten in der Ansprache und Bezeichnung der eigenen Kollegin*innen sowie dem möglichen Risiko der Exkludierung spezifischer Sprachgruppen, deren Sprachraum keine Komplexitäten wie das Gendern zulässt. So handelt es sich bei der Genderdebatte um eine Diskussion, deren Diskurs vornehmlich akademisch Gebildeten vorbehalten ist, denn etwa in der leichten Sprache kommt Gendern nicht vor. Dass dies für Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen sorgt, ist nicht von der Hand zu weisen.
- Grundsätzlich kann gendergerechte Sprache im privaten Bereich als Zeichen von Respekt und Akzeptanz aller Geschlechter gesehen werden. Wenn Freund*innen und Familienmitglieder darauf achten, zeigt das, dass sie die Identität jeder Person ernst nehmen, was die Beziehung stärken und eine offene Atmosphäre schaffen kann.
- Durch gendergerechte Sprache in alltäglichen Gesprächen und in der Arbeit wird man dafür sensibilisiert, dass die Gesellschaft vielfältig ist. Gendern erinnert daran, dass Sprache alle Menschen ansprechen soll und kann helfen, Stereotype und Vorurteile abzubauen.
- Unternehmen, die gendergerechte Sprache verwenden, signalisieren der Öffentlichkeit, dass sie soziale Verantwortung ernst nehmen. Gerade in modernen Branchen wird dies oft positiv aufgenommen und stärkt das Image des Unternehmens.
- Gerade in privaten Gesprächen kann das Gendern als umständlich und gekünstelt wirken. Manche Menschen empfinden es als schwierig, sich natürlich auszudrücken, was dazu führen kann, dass sie eher unsicher sprechen oder sich nicht trauen, ihre Gedanken frei zu äußern.
- Wenn gendergerechte Sprache in Unternehmen eingeführt wird, kann das auch zu Spannungen führen, da nicht alle Mitarbeitenden Gendern als notwendig oder sinnvoll erachten. Dies könnte zu einem angespannten Arbeitsklima führen, wenn manche das Gendern als „aufgezwungen“ wahrnehmen.
- Gendergerechte Sprache kann in der schriftlichen Kommunikation, etwa bei beruflichen E-Mails, zusätzlichen Zeitaufwand erfordern. Dieser Aufwand könnte in stressigen Arbeitsalltagssituationen als unnötig empfunden werden, da mehr Zeit für eine gendergerechte Formulierung eingeplant werden muss.
Fazit
- Es ist wichtig zu beachten, dass das Gendern nicht als alleinige Lösung für Geschlechterungleichheit betrachtet werden sollte. Es ist ein Schritt in Richtung einer inklusiveren Sprache und Gesellschaft, aber es bedarf weiterer Maßnahmen und Veränderungen, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen.
- Weiterhin konstatiert Trutkowski, es sei wichtig, dass das Gendern freiwillig bleibt und nicht zur Pflicht wird, um niemanden zu bevormunden oder zu diskriminieren.
- Insgesamt lässt sich sagen, dass die Position von Ewa Trutkowski in Wer nicht gendert, landet im Abseits das Thema Gendern nicht als entscheidend ansieht, wenn es um die Inklusion marginalisierter Geschlechtergruppen geht. Vielmehr wird laut Trutkowski durch das Gendern ein dürftiger Versuch unternommen, etwas mit Sprache zu heilen oder zu reparieren, was vielmehr an Umdenken und Aufklärung bedarf, als man mit Gendersternchen oder Genderdoppelpunkten allein bewirken könnte.
- Aufgrund der emotional geladenen Debatte um das Gendern, ist es Ewa Trutkowski ein umso größeres Anliegen, sich dem Thema aus einer neutralen, forschungsbasierten Position heraus zu nähern, die anstatt zu dramatisieren, einen nüchternen Blick auf die Fakten behält. Schafft Trutkowski dies? Sicherlich kann sich auch die Linguistin nicht vollkommen aus ihrer Subjektivität als Meinungsträgerin in der Genderdebatte lösen, jedoch führt Trutkowski, in Anbetracht ihres Blicks auf das Thema Gendern aus der Sicht ihrer linguistischen Brille, eine weitestgehend sachliche Argumentationsbasis an.
- Als möglichen Ausblick könnte man die Frage aufwerfen, ob es sich nicht lohnt, sich dem Gendern auf eine neue Art und Weise zu nähern, die jedoch anstatt zunächst auf sprachlicher oder schriftlicher Ebene, in Aufklärungsarbeit stattfindet, damit eventuellen Gendersternchen ein fundamentales Umdenken für marginalisierte Sprachgruppierungen vorausgeht.