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Basiswissen

Thema 1

Gedichtinterpretation mit weiterführendem Vergleich

Thema:
Hilde Domin (* 1909 - † 2006): Vorsichtige Hoffnung (1959)
Günter Kunert (* 1929 - † 2019): Häuser an der Spree (1972)
Aufgabenstellung:
  • Interpretiere das Gedicht Vorsichtige Hoffnung von Hilde Domin.
  • Vergleiche die Gestaltung des Motivs der Erneuerung in Hilde Domins Gedicht Vorsichtige Hoffnung mit derjenigen in Günter Kunerts Kurzprosatext Häuser an der Spree. Berücksichtige dabei neben inhaltlichen auch ausgewählte sprachliche und formale Aspekte.
Der Schwerpunkt der Aufgabe liegt auf der Interpretation des Gedichts von Hilde Domin.
Material 1
Vorsichtige Hoffnung
Hilde Domin
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Weiße Tauben
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im Blau
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verbrannter Fensterhöhlen,
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werden die Kriege für euch geführt?
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Weiße Taubenschnur
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durch die leeren Fenster
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über die Breitengrade hinweg.
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Wie Rosensträucher auf Gräbern
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achtlos nehmt ihr das Unsre.
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Auf den mit Tränen gewaschenen Stein
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setzt ihr das kleine Nest.
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Wir bauen neue Häuser,
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Tauben,
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die Schnäbel der Krane ragen
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über unseren Städten,
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eiserne Störche, die Nester für Menschen richten.
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Wir bauen Häuser
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mit Wänden aus Zement und Glas
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an denen euer rosa Fuß
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nicht haftet.
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Wir räumen die Ruinen ab
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und vergessen die äußerste Stunde
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im toten Auge der Uhr.
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Tauben, wir bauen für euch:
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ihr werdet
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in den glatten Wänden nisten,
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ihr werdet
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durch unsere Fenster fliegen
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ins Blau.
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Und vielleicht sind dann ein paar Kinder da
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– und das wäre sehr viel –,
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die unter euch
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in den Ruinen
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unserer neuen Häuser,
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der Häuser, die wir mit den hohen Kranen
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den Tag und die Nacht durch bauen,
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Verstecken spielen.
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Und das wäre sehr viel.

Aus: Domin, Hilde: Nur eine Rose als Stütze. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag 1959, S. 24 - 25.
Material 2
Häuser an der Spree
Günter Kunert
1
Zu mir sprechen die Steine. Wenn auch nicht alle. Aber es sind auch nicht alle Menschen
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befähigt, sich auszudrücken. Die grauen Großblöcke, die frischen jungen Ziegel sagen mir
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gar nichts, nur die von Erfahrung brüchigen, die vom Dasein lädierten, die von neuem und
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anderem Leben bereits befallenen, bemoosten, überwucherten. So stehe ich vorm Gemäuer
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alter Berliner Häuser, vor den Altersflecken fehlenden Putzes, streifig von herabrinnendem
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Wasser, von Granatsplittern noch immer versehrt und von Kugeleinschlägen, innen geräumt
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und abrißbereit, da auch an ihrerstatt der viereckige Beton ersetzen soll, was unersetzlich
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ist: die Zeichen gelebten Lebens. Große Anteilnahme befällt mich vor solchem Gestein, und
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weil man mit ihm nicht anders umspringt, als mit den Städtebewohnern aus Fleisch und Blut.
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Was wir uns zu sagen haben, ist nicht viel; wir verstehen einander mit wenigen Worten, die
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nichts Wichtiges besagen, sondern nur – da wir beide nicht wissen, ob wir einander je
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wiedersehen, Umbau und Verschleiß der Welt beschleunigen sich stetig – daß wir
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voneinander Abschied nehmen.

Aus: Kunert, Günter: Tagträume in Berlin und andernorts. Kleine Prosa, Erzählungen, Aufsätze.
München: Carl Hanser Verlag 1972, S. 147.

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