HT 2
Interpretation eines literarischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag
Thema: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise Aufgabenstellung:- Interpretiere die vorliegende Szene aus Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise.
(40 Punkte)
- Der Religionswissenschaftler Karl-Josef Kuschel schreibt:
„Bewusst lässt der Dramatiker seine beiden wichtigsten Muslime stets als Geschwister auftreten; in 11 von 13 ihnen gewidmeten Szenen treten Saladin und Sittah gemeinsam auf. [...] Gewiss: Der Dramatiker Lessing „brauchte“ zweifellos einen Dialogpartner für Saladin, aber hinter der Wahl einer Schwester steckt mehr als dramaturgische Notwendigkeit. Sie unterstreicht zugleich die in diesem Stück so betonte Familiarität, die hier noch einmal als Geschwisterlichkeit konkretisiert ist. Und Geschwisterlichkeit bedeutet in diesem Fall Dialogizität in Freundschaft und Zuneigung zueinander.“
(Aus: Karl-Josef Kuschel: „Jud, Christ und Muselmann vereinigt“? Lessings „Nathan der Weise“. Düsseldorf: Patmos 2004, S. 103 f.) Erläutere das Zitat von Karl-Josef Kuschel und setze seine Überlegungen in Beziehung zur Gestaltung der Geschwisterbeziehung zwischen Saladin und Sittah. Berücksichtige dabei sowohl die vorliegende Szene als auch den gesamten Handlungsstrang um die beiden Figuren. Prüfe abwägend, inwiefern sich in Lessings Schauspiel insgesamt das Ideal einer Menschheitsfamilie zeigt, die von Familiarität in Kuschels Sinne gekennzeichnet ist.(32 Punkte)
2
Die Szene: des Sultans Palast.
3
Saladin und Sittah spielen Schach.
4
Sittah:
5
Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?
6
Saladin:
7
Nicht gut? Ich dächte doch.
8
Sittah:
9
Für mich; und kaum.
10
Nimm diesen Zug zurück.
11
Saladin:
12
Warum?
13
Sittah:
14
Der Springer
15
Wird unbedeckt.
16
Saladin:
17
Ist wahr. Nun so!
18
Sittah:
19
So zieh
20
Ich in die Gabel.
21
Saladin:
22
Wieder wahr. – Schach dann!
23
Sittah:
24
Was hilft dir das? Ich setze vor: und du
25
Bist, wie du warst.
26
Saladin:
27
Aus dieser Klemme seh
28
Ich wohl, ist ohne Buße nicht zu kommen.
29
Mag's! nimm den Springer nur.
30
Sittah:
31
Ich will ihn nicht.
32
Ich geh vorbei.
33
Saladin:
34
Du schenkst mir nichts. Dir liegt
35
An diesem Plane mehr, als an dem Springer.
36
Sittah:
37
Kann sein.
38
Saladin:
39
Mach deine Rechnung nur nicht ohne
40
Den Wirt. Denn sieh! Was gilt's, das warst du nicht
41
Vermuten?
42
Sittah:
43
Freilich nicht. Wie konnt' ich auch
44
Vermuten, daß du deiner Königin
45
So müde wärst?
46
Saladin:
47
Ich meiner Königin?
48
Sittah:
49
Ich seh nun schon: ich soll heut meine tausend
50
Dinar', kein Naserinchen mehr gewinnen.
51
Saladin:
52
Wieso?
53
Sittah:
54
Frag noch! – Weil du mit Fleiß, mit aller
55
Gewalt verlieren willst. – Doch dabei find
56
Ich meine Rechnung nicht. Denn außer, daß
57
Ein solches Spiel das unterhaltendste
58
Nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten
59
Mit dir' wenn ich verlor? Wenn hast du mir
60
Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen
61
Zu trösten, doppelt nicht hernach geschenkt?
62
Saladin:
63
Ei sieh! so hättest du ja wohl, wenn du
64
Verlorst, mit Fleiß verloren, Schwesterchen?
65
Sittah:
66
Zum wenigsten kann gar wohl sein, daß deine
67
Freigebigkeit, mein liebes Brüderchen,
68
Schuld ist, daß ich nicht besser spielen lernen.
69
Saladin:
70
Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!
71
Sittah:
72
So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!
73
Saladin:
74
Nun freilich; dieses Abschach hab ich nicht
75
Gesehn, das meine Königin zugleich
76
Mit niederwirft.
77
Sittah:
78
War dem noch abzuhelfen?
79
Laß sehn.
80
Saladin:
81
Nein, nein; nimm nur die Königin.
82
Ich war mit diesem Steine nie recht glücklich.
83
Sittah:
84
Bloß mit dem Steine?
85
Saladin:
86
Fort damit! – Das tut
87
Mir nichts. Denn so ist alles wiederum
88
Geschützt.
89
Sittah:
90
Wie höflich man mit Königinnen
91
Verfahren müsse: hat mein Bruder mich
92
Zu wohl gelehrt. (Sie läßt sie stehen.)
93
Saladin:
94
Nimm, oder nimm sie nicht!
95
Ich habe keine mehr.
96
Sittah:
97
Wozu sie nehmen?
98
Schach! – Schach!
99
Saladin:
100
Nur weiter.
101
Sittah:
102
Schach! – und Schach! – und Schach! –
103
Saladin:
104
Und matt!
105
Sittah:
106
Nicht ganz; du ziehst den Springer noch
107
Dazwischen; oder was du machen willst.
108
Gleichviel!
109
Saladin:
110
Ganz recht! – Du hast gewonnen: und
111
Al-Hafi zahlt. – Man lass' ihn rufen! gleich!
112
Du hattest, Sittah, nicht so unrecht; ich
113
War nicht so ganz beim Spiele; war zerstreut.
114
Und dann: wer gibt uns denn die glatten Steine
115
Beständig? die an nichts erinnern, nichts
116
Bezeichnen. Hab ich mit dem Iman denn
117
Gespielt? – Doch was? Verlust will Vorwand. Nicht
118
Die umgeformten Steine, Sittah, sind's,
119
Die mich verlieren machten: deine Kunst,
120
Dein ruhiger und schneller Blick ...
121
Sittah:
122
Auch so
123
Willst du den Stachel des Verlusts nur stumpfen.
124
Genug, du warst zerstreut; und mehr als ich.
125
Saladin:
126
Als du? Was hätte dich zerstreuet?
127
Sittah:
128
Deine
129
Zerstreuung freilich nicht! – O Saladin,
130
Wenn werden wir so fleißig wieder spielen.
131
Saladin:
132
So spielen wir um so viel gieriger! –
133
Ah! weil es wieder losgeht, meinst du? – Mag's! –
134
Nur zu! – Ich habe nicht zuerst gezogen;
135
Ich hätte gern den Stillestand aufs neue
136
Verlängert; hätte meiner Sittah gern,
137
Gern einen guten Mann zugleich verschafft.
138
Und das muß Richards Bruder sein: er ist
139
Ja Richards Bruder.
140
Sittah:
141
Wenn du deinen Richard
142
Nur loben kannst!
143
Saladin:
144
Wenn unserm Bruder Melek
145
Dann Richards Schwester wär' zu Teile worden:
146
Ha! welch ein Haus zusammen! Ha, der ersten,
147
Der besten Häuser in der Welt das beste!
148
Du hörst, ich bin mich selbst zu loben, auch
149
Nicht faul. Ich dünk mich meiner Freunde wert.
150
Das hätte Menschen geben sollen! das!
151
Sittah:
152
Hab ich des schönen Traums nicht gleich gelacht?
153
Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.
154
Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn
155
Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her,
156
Mit Menschlichkeit den Aberglauben würzt,
157
Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:
158
Weil's Christus lehrt; weil's Christus hat getan. –
159
Wohl ihnen, daß er so ein guter Mensch
160
Noch war! Wohl ihnen, daß sie seine Tugend
161
Auf Treu und Glaube nehmen können! – Doch
162
Was Tugend? – Seine Tugend nicht; sein Name
163
Soll überall verbreitet werden; soll
164
Die Namen aller guten Menschen schänden,
165
Verschlingen. Um den Namen, um den Namen
166
Ist ihnen nur zu tun.
167
Saladin:
168
Du meinst: warum
169
Sie sonst verlangen würden, daß auch ihr,
170
Auch du und Melek, Christen hießet, eh'
171
Als Ehgemahl ihr Christen lieben wolltet?
172
Sittah:
173
Jawohl! Als wär' von Christen nur, als Christen,
174
Die Liebe zu gewärtigen, womit
175
Der Schöpfer Mann und Männin ausgestattet!
176
Saladin:
177
Die Christen glauben mehr Armseligkeiten,
178
Als daß sie die nicht auch noch glauben könnten!
179
Und gleichwohl irrst du dich. – Die Tempelherren,
180
Die Christen nicht, sind schuld: sind nicht, als Christen,
181
Als Tempelherren schuld. Durch die allein
182
Wird aus der Sache nichts. Sie wollen Acca,
183
Das Richards Schwester unserm Bruder Melek
184
Zum Brautschatz bringen müßte, schlechterdings
185
Nicht fahren lassen. Daß des Ritters Vorteil
186
Gefahr nicht laufe, spielen sie den Mönch,
187
Den albern Mönch. Und ob vielleicht im Fluge
188
Ein guter Streich gelänge: haben sie
189
Des Waffenstillestandes Ablauf kaum
190
Erwarten können. – Lustig! Nur so weiter!
191
Ihr Herren, nur so weiter! – Mir schon recht! –
192
Wär' alles sonst nur, wie es müßte.
193
Sittah:
194
Nun?
195
Was irrte dich denn sonst? Was könnte sonst
196
Dich aus der Fassung bringen?
197
Saladin:
198
Was von je
199
Mich immer aus der Fassung hat gebracht. –
200
Ich war auf Libanon, bei unserm Vater.
201
Er unterliegt den Sorgen noch ...
202
Sittah:
203
O weh!
204
Saladin:
205
Er kann nicht durch; es klemmt sich allerorten;
206
Es fehlt bald da, bald dort –
207
Sittah:
208
Was klemmt? was fehlt?
209
Saladin:
210
Was sonst, als was ich kaum zu nennen würd'ge?
211
Was, wenn ich's habe, mir so überflüssig,
212
Und hab ich's nicht, so unentbehrlich scheint. –
213
Wo bleibt Al-Hafi denn? Ist niemand nach
214
Ihm aus? – Das leidige, verwünschte Geld! –
215
Gut, Hafi, daß du kömmst.
Aus: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. SchulLV 2023.
Weiter lernen mit SchulLV-PLUS!
monatlich kündbarSchulLV-PLUS-Vorteile im ÜberblickDu hast bereits einen Account?
Hier geht's zur Lektüre Nathan der Weise
Hier geht's zur Lektürehilfe Nathan der Weise
Hier geht's zur Lektürehilfe Nathan der Weise
Erste Teilaufgabe
Einleitung
- Autor: Gotthold Ephraim Lessing
- Titel: Nathan der Weise
- Erscheinungsjahr: 1779
- Textsorte: Drama
- Epoche: Aufklärung
- Quelle: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. In: SchulLV, Karlsruhe 2023.
- Inhalt: Das fünfaktige Stück wurde am 14. April 1783 in Berlin uraufgeführt. Es handelt von dem jüdischen Kaufmann Nathan, dessen Zieh-Tochter sich in einen christlichen Tempelherren verliebt, der zur Zeit des Dritten Kreuzzuges (1189 - 1192) in Jerusalem vom muslimischen Sultan begnadigt wurde. Im Mittelpunkt von Lessings letztem Werk steht dabei die Ringparabel, mit der Nathan die drei Weltreligionen als gleichwertig versöhnt.
Hauptteil
Inhalt- Die vorliegende Szene in Lessings Drama Nathan der Weise spielt sich in Jerusalem im Palast des Sultans ab.
- Sultan Saladin und seine Schwester Sittah spielen Schach, doch Saladin ist laut Sittah „zerstreut“ (Z. 124) und lässt sie trotz ihrer Ermahnungen, sich doch zu konzentrieren, gewinnen.
- Saladin lässt nach seinem Schatzmeister Al-Hafi rufen, damit er seine Spielschulden in Höhe von 1000 Goldmünzen bezahlen kann.
- Außerdem grübelt der Sultan über den gebrochenen Waffenstillstand nach. Hätten die Tempelherren ihn nicht gebrochen, hätte Saladin mit einer Doppelhochzeit langfristig Frieden stiften wollen. Sittah ist nämlich noch unverheiratet und Saladin würde sie gerne mit Richards Bruder, dem König von England vermählen.
- Sittah war nie angetan von der Idee, dass sie und ihr Bruder Melek des Friedenwillens die Geschwister des christlichen Richard I. hätten heiraten sollen.
- Die Schwester des Sultans hält die Christen für eingebildet und kritisiert, dass es nicht um gute Taten gehe, sondern nur darum, den Namen Christus zu verbreiten – koste es, was es wolle.
- Saladin macht nicht die Christen, sondern die Tempelherren für den gescheiterten Frieden verantwortlich. Diese wollen die Stadt Acca nicht freigeben, die als Brautschatz für die Hochzeit mit seinem Bruder eingeplant war.
- Während des Gesprächs nach ihrem Schachspiel versucht Saladin, Sittah davon zu überzeugen, dass Toleranz und Verständnis zwischen den Religionen möglich sind.
- Indem Lessing die beiden Geschwister verschiedene Positionen zu den Weltreligionen einnehmen lässt, bewerkstelligt er es, die enge Verbindung der zeitgenössischen Kirche mit den Herrschern und deren Einstellung unterschwellig und dennoch mit Nachdruck zu kritisieren.
- Der Bruder argumentiert, dass es nicht wichtig ist, welcher Religion man angehört, sondern wie man als Mensch handelt. Saladin betont, dass es in allen Religionen gute und schlechte Menschen gibt und dass man nicht alle über einen Kamm scheren sollte.
- Die Szene verdeutlicht die unterschiedlichen Ansichten der Geschwister und ihre Auseinandersetzung mit den Themen Religion und Toleranz. Saladin versucht, Sittah von seiner Vision einer toleranten Gesellschaft zu überzeugen, während Sittah skeptisch bleibt und ihre Vorurteile gegenüber den Christen nicht aufgeben möchte.
- Saladin sorgt sich auch um die leeren Kassen seines Vaters, weil es schwierig wird, den Krieg zu finanzieren. Außerdem macht er deutlich, dass er beim Thema Geld eine zwiegespaltene Einstellung besitzt und die Überwachung der Kasse lieber Al-Hafi überlässt.
- In der Szene, in welcher Saladin und Sittah Schach spielen, wird in Nathan der Weise die auktoriale Erzählperspektive verwendet. Dies impliziert, dass der Erzähler eine omnipotente Position einnimmt und sowohl die Gedanken und Gefühle der Charaktere als auch die äußeren Ereignisse beschreibt.
- Durch die auktoriale Erzählperspektive entsteht eine neutrale Haltung und es wird dem Leser gewährt, einen umfassenden Einblick in das Geschehen zu erhalten. Dadurch wird dem Leser ermöglicht, die Gedanken und Motivationen der Charaktere besser zu verstehen und ihre Handlungen nachzuvollziehen.
- Blankvers: Wie auch der Rest des Buches Nathan der Weise ist auch die vorliegende Szene in Blankversen verfasst. Es handelt sich um einen fünfhebigen, nicht reimenden Jambus mit abwechselnden Hebungen und Senkungen. Außerdem sind überdurchschnittlich viele Enjambements zu verzeichnen. Die sehr freie Form des Versmaßes führt dazu, dass das Geschriebene prosaähnlich wirkt.
- Enjambement: Mit dem Übergreifen eines Satzes in den nächsten Vers wie bei „Der Springer / Wird unbedeckt.“ (V. 14 f.) oder „So zieh / Ich in die Gabel.“ (V. 19 f.) wird der Lesefluss verstärkt. Darüber hinaus bewirken Enjambements eine erhöhte Erzähldynamik und schafft es, dass die Bedeutungsebenen des Geschriebenen über die verschiedenen Zeilen miteinander fusionieren.
- Sprache als Bildungsauftrag: Lessings Sprache haftet im Gesamtwerk Nathan der Weise eine gehobene Form der Sprache an, welche auch in der vorliegenden Szene zum Tragen kommt. Im Sprachgebrauch des Werkes spiegelt sich die aufklärerische Haltung, Literatur als Bildungsauftrag zu verstehen, wider. Sinn und Zweck von Sprache ist es laut Schriftstellern wie Lessing, mit Sprache gemeinsamen Konsens zu erreichen, zu überzeugen und zu bilden. In dieser Szene ist es Saladin, der Sittah durch in Sprache gebettetes Wissen über die Daseinsberechtigung aller Weltreligionen gewissermaßen erzieht.
Zweite Teilaufgabe
Überleitung
- Karl-Josef Kuschel betont in seinem Zitat die Bedeutung der Geschwisterbeziehung zwischen Saladin und Sittah in Lessings Drama Nathan der Weise. Er stellt fest, dass die beiden Muslime in den meisten Szenen gemeinsam auftreten und dass dies mehr als nur eine dramaturgische Notwendigkeit ist.
- Die Wahl einer Schwester als Dialogpartnerin für Saladin unterstreicht die Familiarität, die im Stück betont wird und hier konkret als Geschwisterlichkeit dargestellt wird. Diese Geschwisterlichkeit bedeutet laut Kuschel Dialogizität in Freundschaft und Zuneigung zueinander.
- Die Geschwisterbeziehung zwischen Saladin und Sittah ist in der Tat ein zentrales Element des Stücks. Ihre Beziehung wird als eng und vertraut dargestellt.
- Saladin vertraut Sittah seine Gedanken und Pläne an und sie unterstützt ihn in seinen Entscheidungen. Sie teilen auch eine gemeinsame Vergangenheit, da sie beide aus demselben Elternhaus stammen.
Inwiefern zeigt Lessings Schauspiel insgesamt das Ideal einer Menschheitsfamilie, in der Familiarität in Kuschels Sinne vorkommt
Pro- Die Gestaltung der Geschwisterbeziehung zwischen Saladin und Sittah zeigt das Ideal einer Menschheitsfamilie, die von Familiarität geprägt ist. Saladin und Sittah sind nicht nur Geschwister, sondern auch Freunde, die sich gegenseitig respektieren und unterstützen.
- Die beiden besitzen eine enge Bindung zueinander und sind in der Lage, offen und ehrlich miteinander zu kommunizieren. Diese Familiarität erstreckt sich auch auf andere Figuren im Stück. So ist beispielsweise Nathan auch als Jude ein Freund der muslimischen Familie und damit ebenfalls Teil dieser Menschheitsfamilie.
- Insgesamt zeigt Lessings Schauspiel auf, dass Züge des Idealbilds einer Menschheitsfamilie in der Familiarität und Dialogizität eine zentrale Rolle spielen. Sie repräsentieren eine Verbindung, die über religiöse und kulturelle Unterschiede hinweg besteht und auf gegenseitigem Respekt und Verständnis basiert.
- Durch den Dialog und die Zuneigung zwischen den Geschwistern wird deutlich, dass es möglich ist, Vorurteile und Konflikte zu überwinden und als Herausforderung anzunehmen sowie an ihnen zu wachsen.
- Trotz ihrer unterschiedlichen Glaubenrichtungen kann man die Gesamtheit der Figuren im Werk am Ende eine große Familie nennen. So sind Recha und der Tempelherr etwa Geschwister und damit Nicht und Neffe des Sultans. Darüber hinaus gehört auch Nathans Ziehfamilie unabhängig von ihrer Andersgläubigkeit genausp zur Familie dazu.
- Zwischen dem Geschwisterpaar Sittah und Saladin gibt es Konflikte sowie Spannungen. Lessing scheut sich nicht davor, wie es sich für ein gutes Drama gehört, Uneinigkeiten zwischen den einzelnen Figuren aufkommen zu lassen. Im Falle der Geschwister sind es etwa politische und religiöse Dispute.
- So sorgt zum Beispiel der Umstand, dass Sittah eine muslimische Prinzessin, während Saladin der muslimische Sultan von Jerusalem ist, für Meinungsverschiedenheiten. Denn obwohl sie Geschwister sind, besitzen sie unterschiedliche religiöse Ansichten und stehen aufgrund ihrer Positionen immer wieder in Konflikt zueinander.
- In den Schauspielen von Lessing kommen oft klare soziale Hierarchien vor, die die Beziehungen zwischen den Charakteren beeinflussen. Dies steht im Widerspruch zu einer idealen Menschheitsfamilie, in der alle Mitglieder gleichgestellt sind. So muss sich Sittah als Prinzessin beispielsweise auch dem Wort ihres Bruders, dem Sultan, unterwerfen.
- Lessings Schauspiele zeichnen sich oft durch moralische Ambiguität aus. Die Charaktere sind nicht immer eindeutig gut oder böse, sondern zeigen verschiedene Facetten und Motivationen. Dies steht im Gegensatz zu einem idealisierten Bild einer Menschheitsfamilie, in der moralische Klarheit herrscht.
- Ein Beispiel für moralische Ambiguität in Nathan der Weise ist die Figur des Tempelherrn. Der Tempelherr ist ein christlicher Ritter, der im Heiligen Land kämpft und von Nathan gerettet wird. Obwohl er anfangs von Vorurteilen gegenüber Juden geprägt ist, entwickelt er im Laufe des Stücks eine enge Freundschaft zu Nathan und verliebt sich in dessen Tochter Recha, wehrt sich aber aufgrund seiner Religion gegen diese Gefühle.
Schluss
- Die Geschwister Sittah und Saladin fungieren dahingehend exemplarisch für Lessings Figurensinfonie, als dass sich in ihrer Beziehung Toleranz, Akzeptanz, Zuneigung und gegenseitiges Verständnis widerspiegeln.
- Gleichzeitig wird an Sittah und Saladin auch deutlich, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie der Stand und in Sittahs Fall auch das Geschlecht dafür sorgen, dass die Herkunft aus derselben Familie nicht automatisch mit Gleichberechtigung einhergeht.
- Abschließend kann festgehalten werden, dass die Gesamtheit der Figuren sowie auch die Geschwister Sittah und Saladin in Nathan der Weise Züge der Familiarität im Sinne Kuschels aufzeigen und vorleben.
- Als Appell oder Ausblick kann jedoch die Frage aufgeworfen werden, inwiefern Familiarität etwa zwischen den Figuren Sittah und Saladin von Wert ist, wenn der Aspekt der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im patriarchischen System nicht greift.