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Analyse eines Sachtextes
Thema: Juliane Rebentisch: Lessings Unruhe Aufgabenstellung:- Analysiere die Rede Lessings Unruhe von Juliane Rebentisch. Erschließe dabei ihr Verständnis von Gotthold Ephraim Lessings Theorie der Wahrheit. Erläutere in diesem Zusammenhang, welche Rolle das Gespräch bzw. der Diskurs innerhalb dieser Wahrheitskonzeption spielt.
(40 Punkte)
- Stelle die Grundgedanken der Ringparabel aus Lessings Drama Nathan der Weise und ihre Bedeutung für das Gespräch zwischen Nathan und Saladin dar. Setze Rebentischs Ausführungen zu diesem Gespräch in Beziehung. Berücksichtige dabei den literarischen Charakter des Gesprächs.
(32 Punkte)
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Mir ist gesagt worden, dass für meinen Dank hier 15 Minuten eingeplant sind, und ich habe
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Ihnen dafür eine Miniatur über Lessings Verhältnis zur Wahrheit mitgebracht. Denn mit
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Lessing lassen sich, wie ich meine, die Probleme besser verstehen, die heute unter dem höchst
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irreführenden Titel eines „post-faktischen Zeitalters“ diskutiert werden.
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Von der Wahrheit, stellt Hannah Arendt in ihrer Lessing-Preisrede 1959 fest, habe Lessing
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eine „sehr unorthodoxe“ Auffassung gehabt. Was die Philosophen traditionell häufig beküm-
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mert habe, habe ihn nämlich gefreut. Gemeint ist der Umstand, „dass [sich] die Wahrheit,
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sobald sie geäußert wird, sofort in eine Meinung unter Meinungen verwandeln“, dass sie
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„bestritten“ und „umformuliert“, also zu einem „Gegenstand des Gesprächs“ gemacht werden
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kann. Nicht bloß die Einsicht, dass es die eine Wahrheit unter endlichen Wesen nicht geben
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kann, sondern die Freude darüber, dass deshalb das „Gespräch nicht aufhören wird, solange
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es Menschen überhaupt“ gibt – dies kennzeichne, so Arendt, „die Größe Lessings.“ [...]
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Tatsächlich war es Lessings tiefe Überzeugung, dass der vermeintliche Besitz der Wahrheit
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die Menschen „ruhig, träge“ und „stolz“, also borniert macht, während die rastlose Suche
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nach der Wahrheit ihre Kräfte erweitert und so der Vervollkommnung der Menschen dient.
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Man sollte das jedoch nicht so verstehen, dass Lessing die eigene geistige Beweglichkeit im
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Zweifelsfall immer wichtiger gewesen ist als ein langweiliger Konsens über die Wahrheit.
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Denn seine intellektuelle Unruhe war eine Unruhe der Wahrheitsorientierung selbst. Und die
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wird erst dann richtig verständlich, wenn man sich darüber hinaus verdeutlicht, dass sich
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Lessing nie über den öffentlichen Diskurs erhoben hat, sondern vielmehr überaus engagiert
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auf ihn bezogen war.
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So hat Lessing, wie Arendt auch beobachtet hat, selbst noch dort, wo er sich zum Denken
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zurückzog, nicht aufgehört zu anderen hinzusprechen. Das erklärt auch den wesentlich pole-
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mischen Zug seines Denkens. Lessings Polemiken sind in der Tat legendär. Der selbst ja
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bekanntermaßen nicht ganz unpolemische Nietzsche spricht an einer Stelle gar von Lessings
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durchaus „unangenehmer Mischung von Zankteufelei und Biederkeit“. Aber Lessings philo-
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sophische Rauflust und entschiedene Parteilichkeit sind Hinweise darauf, wie man sein un-
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orthodoxes Verhältnis zur Wahrheit genauer verstehen sollte. [...] Die Einsicht, dass es die
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eine Wahrheit nicht geben kann, löst nach Lessing nämlich die Wahrheit gerade nicht im Rela-
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tivismus koexistenter Meinungen auf, vielmehr generiert sie sich allein aus dem leidenschaft-
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lichen Streit um sie.
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Wie die Alten den Tod gebildet (1769) ist eine Streitschrift gegen Christian Adolph Klotz,
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dessen Argumente zur antiken Darstellung des Todes von Lessing sehr polemisch zerlegt
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werden. In der Vorrede zu dieser Schrift findet sich auch eine höchst interessante Verteidi-
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gung des Genres der Streitschrift selbst. Lessing beginnt mit einer Art Publikumsbeschimp-
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fung, die auf die Streitunlust seiner Zeitgenossen zielt. Dem zeitgenössischen Publikum sei
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das Streiten oder „Zanken“ nämlich offenbar peinlicher als die Verleumdung oder der Hass.
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Eine solche Einstellung vertrage sich bestens mit einer Kultur des Selbstdünkels und der
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Eigenliebe, nicht aber mit der Wahrheit, so Lessing. Tatsächlich habe ein solches Publikum
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vergessen, „dass es die Aufklärung so mancher wichtiger Punkte dem bloßen Widerspruche
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zu danken hat, und dass die Menschen über nichts einig seien, wenn sie noch über nichts in
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der Welt gezankt hätten“. Es sei zwar vermutlich noch durch keinen Streit die Wahrheit tat-
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sächlich ausgemacht worden, so Lessing weiter. Dennoch aber habe die Wahrheit bei jedem
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Streit gewonnen. Denn der Streit habe „den Geist der Prüfung genährt, [...] Vorurteil und
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Ansehen in einer beständigen Erschütterung erhalten; kurz [...] die geschminkte Unwahrheit
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verhindert, sich an der Stelle der Wahrheit festzusetzen.“
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Nun könnte man diese Stelle vermutlich auch noch so hören, dass die Wahrheit den Menschen
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eben nie erreichbar ist und ihnen daher nichts anderes übrig bleibt als durch die Vermeidung
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von Vorurteilen und Missverständnissen zumindest nach ihr zu streben. Unsere endlichen
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Perspektiven wären dann jedoch immer noch so verstanden, dass sie uns im Weg sind, wenn
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es darum geht, zur eigentlichen Wahrheit vorzudringen. Ich möchte die Lessing’sche „Wahr-
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heitstendenz“ jedoch noch etwas radikaler verstehen, nämlich im Sinne einer entschieden
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diesseitigen Wahrheitsauffassung, die den Gegensatz zwischen der einen Wahrheit und ihrer
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bloß perspektivischen Erscheinung hinter sich lässt. Statt die Wahrheit mit der Unabhängig-
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keit von endlichen Perspektiven überhaupt gleichzusetzen, muss der Streit der Perspektiven
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dann als eine notwendige Voraussetzung angenommen werden, die Wahrheit im historischen
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Prozess, und das heißt: immer wieder neu, zu erschließen. Der Streit erfolgt nach diesem Ver-
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ständnis also gar nicht mehr im Horizont einer unabhängig von ihm gegebenen Wahrheit.
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Vielmehr geht dieses Verständnis davon aus, dass es die Wahrheit nur in und durch den Streit
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selbst geben kann.
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Im Rahmen dieses Streits vermögen die jeweiligen perspektivischen Bestimmungen der Wahr-
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heit durchaus an Allgemeinheit zu gewinnen; sie sind dann keineswegs mehr nur subjektive,
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willkürliche Bestimmungen oder bloße Meinungen. Gleichwohl aber kann keine Bestimmung
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der Wahrheit die Bedingung der Endlichkeit aufheben; und das heißt: auch die als allgemein
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gu?ltig akzeptierten Bestimmungen bleiben prinzipiell an die Möglichkeit ihrer Bestreitung aus-
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gesetzt. Diese Möglichkeit zu verteidigen eint denn auch die unruhigen Geister von Lessing
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über Nietzsche zu Arendt. Nichts, auch das, was sich als Wahrheit festsetzen mag, ist vor die-
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ser Möglichkeit sicher oder sollte es sein. [...]
Annmerkungen zur Autorin:
Juliane Rebentisch (* 1970): Die Preisträgerin des Lessing-Preises der Stadt Hamburg 2017 ist Professorin für Philosophie und
Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main. Aus: Juliane Rebentisch: „Lessings Unruhe“. Preisrede anlässlich der Verleihung des Lessing-Preises 2017 am 28. Januar 2018
https://www.hamburg.de/contentblob/11189288/
c696c6a7eb336d14763110c06aceee4b/data/
lessingpreis2017-rebentisch-preisrede.pdf.
Juliane Rebentisch (* 1970): Die Preisträgerin des Lessing-Preises der Stadt Hamburg 2017 ist Professorin für Philosophie und
Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main. Aus: Juliane Rebentisch: „Lessings Unruhe“. Preisrede anlässlich der Verleihung des Lessing-Preises 2017 am 28. Januar 2018
https://www.hamburg.de/contentblob/11189288/
c696c6a7eb336d14763110c06aceee4b/data/
lessingpreis2017-rebentisch-preisrede.pdf.
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Einleitung
- Autor: Juliane Rebentisch
- Titel: Lessings Unruhe
- Erscheinungsjahr: 2018
- Textsorte: Rede
- Epoche: Gegenwartsliteratur
- Quelle: Juliane Rebentisch: „Lessings Unruhe“. Preisrede anlässlich der Verleihung des Lessing-Preises 2017 am 28. Januar 2018.
- Inhalt: Bestandteil der Rede ist die Vorstellung des Schriftstellers Gotthold Ephraim Lessings Theorie über die Wahrheit und inwiefern der Autor das Konzept Wahrheit im Umgang mit seinen Mitmenschen umsetzt. Schenkt man Lessings Auffassung von Wahrheit Glauben, so handelt es sich bei ihr um eine Sache, die man sich erst im Diskussionsverlauf mit einer anderen Person „erarbeiten“ kann. Demzufolge widerspricht Lessing der Idee einer universalen Wahrheit als solcher und sieht sie als ein lebendiges, sich ständig veränderndes Konzept an.
Hauptteil
Formale Analyse- Untergliederung in Einleitung, Hauptteil und Schluss
- erstreckt sich über insgesamt 68 Zeilen
- Die Titelgebung Lessings Unruhe veranschaulicht bereits, dass es sich Lessings Deutung der Wahrheit nicht um eine festgelegte allgemeingültige Formel handelt, sondern Lebendigkeit, um nicht zu sagen Unruhe, involviert ist.
- Die Interpretation von Wahrheit repräsentiert gut das Wesen des Schriftstellers, der seit jeher nicht vor Auseinandersetzung oder Disharmonie zurückschreckt.
- Der einleitende Teil der Rede ist aus der Ich-Perpsektive Juliane Rebentischs verfasst.
- Rebentisch hält eine Dankesrede, für die ihr 15 Minuten Zeit gegeben werden.
- Bereits zu Beginn lässt Rebentisch erkennen, dass es sich bei ihr um eine Befürworterin Lessings handelt, da sich laut ihr „die Probleme besser verstehen [lassen], die heute unter dem höchst irreführenden Titel eines „post-faktischen Zeitalters“ (Z. 3 f.) existieren.
- Den Hauptteil, welcher ab Zeile 5 beginnt, läutet Rebentisch ein, indem sie Hannah Arendts Meinung, Lessings Auffassung von Wahrheit sei „sehr unorthodox“ (Z. 6) anführt. Laut Arendt würde Lessing einmal formulierte Wahrheiten, sobald sie den Mund des Sprechers verlassen hätten, in formbares Meinungsmaterial verwandeln (Vgl. Z. 7 f.).
- Die Verfasserin der Dankesrede lässt nicht aus, dass Lessing grundsätzlich Reibereien und Auseinandersetzungen mit seinen Mitmenschen nicht aus dem Weg geht, sondern eher als bereichernd ansieht.
- Als Untermalung letzterer Anführung erwähnt Rebentisch Lessings Werk Wie die Alten den Tod gebildet, in welchem er sich gegen Christian Adolph Klotz positioniert und dessen Konzeption von Tod unter die Lupe nimmt.
- Letzteres Werk gehört der Gattung der Streitschrift an und demonstriert allen Leser*innen, dass Lessing Bereicherung in der Konversationsform des Streitens findet.
- Rebentisch versteht Lessings Ansatz gegenüber dem Konzept Wahrheit so, dass es, um eine umfassende Wahrheit zu gewähren notwendig ist, im Streitgespräch mögliche Befangenheiten herauszufinden und vor allem den notwendigen Perspektivwechsel, dem es für das Aufdecken der Wahrheit bedarf, einzunehmen.
- Rebentisch schließt ihre Rede damit, dass laut Lessing die Wahrheit also demzufolge niemand „erreicht“ hat, nur weil man sie bereits einmal aufgedeckt hat, sondern man sie sich immer wieder aufs Neue „erstreiten“ muss.
Stilistische und sprachliche Mittel und deren Verwendung
- Indem Rebentisch bereits zu Anfang die Dauer und Universalität ihrer Rede und deren Thematik ankündigt, spricht sie ihre Zuhörer*innen an, selbst, wenn diese fachfremd sind.
- Die Rednerin bindet Zitate der Persönlichkeiten Lessings, Arendts und Nietzsches ein, mit denen sie ihre Aussagen teils begründet und untermalt, sowie teils ihre Gegenposition verdeutlicht.
- Die Darstellung der Wahrheit beleuchtet Rebentisch dahingehend, dass es die eine Wahrheit laut Lessing per se nicht gibt und der Gesprächsdiskurs notwendig ist, um die unterschiedlichen Seiten der Wahrheit herauszufinden.
- Indem Rebentisch Formulierungen wie „bekanntermaßen“ (Z. 25) verwendet, signalisiert sie davon auszugehen, dass ihre Zuhörer*innen auf demselben Wissensstand seien wie sie selbst.
- Eine gewisse Widersprüchlichkeit zwischen teils komplexer Syntax und hoch akademischen Vokabular und teils nahezu flapsiger Alltagsprache: „Rauflust“ (Z. 27), „zanken“ (Z. 37), abwechselnd parataktischer und einfacher Satzbau
- Rebentisch selbst ist Polemikerin, wie sich an ihrer Wortwahl zeigt: bspw. „geschminkte Unwahrheit“ (Z. 45)
- Antithetische Tendenz des übergreifenden Themas: Lessings Unruhe und lebendiger Auffassung von Wahrheit steht einem in der Gesellschaft festgefahrenen Konsens von Wahrheit gegenüber
Schluss
- Lessings Ansatz, Wahrheit erst im Streitkontext und damit in der Auseinandersetzung mit anderen Meinungen ergründen zu können, repräsentiert den aufklärerischen Standpunkt des Autors.
- Selbst auf die heutige Gesellschaft lässt sich Lessings Herangehensweise und Umgang mit dem Konzept Wahrheit anwenden, nicht zuletzt da Diversität heutzutage erhöhten Anklang und Gehörtsein findet.
- Während die offene Diskussion über Wahrheit zum einen Türen in Richtung Toleranz und Akzeptanz von Minderheiten öffnet, birgt dieses nicht sehr greifbare Konzept von Wahrheit auch seine Tücken. Besonders im Zeitalter des Internets können sogenannte „Wahrheiten“ in Form von Fake News o. Ä. vervielfältigt werden und somit aus den falschen Motiven heraus missbraucht werden.
- Umso wichtiger ist es, auf der Suche nach der eigenen Wahrheit, nicht in Gefahr zu laufen, letztere wie auch andere als die neue eine Wahrheit zu missinterpretieren.
Zweite Teilaufgabe
Überleitung
- Nachdem im Vorgehenden Rebentischs Rede Lessings Unruhe analysiert wurde, wird Rebentischs Rede im Folgenden vor dem Hintergrund der Hauptaussage der Ringparabel Lessings Drama Nathan der Weise besprochen und in Relation gesetzt.
- Besonderes Augenmerk liegt bei der Zusammenführung beider literarischer Ausführungen der literarische Charakter der einzelnen Textstücke.
Einleitung
- Die parabelhafte Erzählung Nathan der Weise handelt auf der Bildebene von einem Richter, der die Entscheidung für den richtigen Ring fällen soll. Auf der Sachebene wiederum ist die Figur Nathan der Richtende. Bei der Bildebene handelt es sich um das, was erzählt wird und bei der Sachebene darum, was gemeint ist.
- Nathan, der gleichzeitig auch der Richter ist, wird von Saladin vor die Frage gestellt, welche der drei Weltreligionen (Christentum, Judentum & Islam) die einzig wahre sei. Diese Frage kann er jedoch nicht beantworten.
- Die Brüder Derwisch Al-Hafi, der Patriarch sowie der Klosterbruder stehen jeweils für eine der drei Weltreligionen. Al-Hafi repräsentiert in diesem Fall den Islam, der Patriarch das Christentum und der Klosterbruder das Judentum.
- Nathan der Weise antwortet Saladins Frage nach der wahren Weltreligion mit einer Ringparabel, in welcher der Vater einem seiner drei Söhne als Stellvertreter für die jeweilig wahre Religion seinen Ring vererbt.
- Laut Nathan entscheidet sich der Vater in der Parabel dazu, neben dem wahren Ring noch zwei weitere anfertigen zu lassen, sodass es nicht zum Konkurrenzkampf zwischen den drei Söhnen kommen würde. Damit umgeht der Vater den Ausbruch eines Glaubenskrieges zwischen den drei Weltreligionen.
- Geschlossen wird die Parabel damit, dass Nathan konstatiert, eine finale Antwort auf die eine wahre Religion gäbe es nicht, sondern sie verschiedenen Weltreligionen müssten sich erst in ihrer Anwendbarkeit und ethischen Anwendbarkeit beweisen.
Hauptteil
Saladins und Nathans Gespräch- Dass Nathan Saladins Frage nicht beantwortet, sondern stattdessen ein Gleichnis in Form der Ringparabel zur Ausführung seiner Antwort wählt, zeigt deutlich die verschiedenen Bedeutungs- und Erzählebenen, nämlich die Bild- und Sachebene auf.
- Indem keine absolute Aussage am Ende getroffen wird, zeigt Lessing mit seiner Ringparabel auf, dass nicht eine Religion als die einzig wahre auserkoren werden kann. Vielmehr gilt die Prämisse, dass sich die einzelnen Glaubensrichtungen im Laufe der Zeitgeachichte immer wieder aufs Neue in einen Diskurs begeben und erneuern, infrage stellen und demzufolge entwickeln müssen.
- Dass Nathan auf Saladins Frage mit einer Parabel antwortet, kann als strategischer Schachzug verstanden werden, einen Disput zu vermeiden, aus dem ansonsten nur ein Gewinner und ein Verlierer hervorgehen könnte.
- In ihrer Rede verdeutlicht Rebentisch, dass sie an eine universelle Wahrheit nicht glauben würde, sich Wahrheit erst im Laufe eines Diskurses herauskristallisieren würde. Letzterer Ausgangspunkt besitzt Parallelen zu dem in Nathan der Weise angeführten Ansatz Lessings, dass sich die Frage nach der einzig wahren Religion erst im Laufe der Zeitalter immer wieder aufs Neue beweisen und herausstellen würde.
- Anstelle einer einfachen und absoluten Antwort wird die hochkomplexe Frage nach der richtigen Weltreligion von Nathan mit einer Parabel beantwortet. Auch Rebentisch spricht sich im Namen Lessings gegen das kurzfristige Konzept der einen aus.
- Ebenso wie in Rebentischs Lessings Unruhe, wählt auch Lessing selbst in Nathan der Weise das Gespräch, den gemeinsamen Diskurs als Weg zur Wahrheitsfindung. Jedoch nicht mit dem Ziel, am Ende eine singuläre Wahrheit festzulegen, sondern um im Gespräch miteinander die gegenseitigen Perspektiven und Glaubensansätze zu verstehen und kritisch zu hinterfragen.
- Während Rebentisch in Lessings Auffassung von Wahrheit dem polemischen Charakter des Schriftstellers eine nicht unerhebliche Stellung zuteilt, verschwindet der selbstironisierte und damit auflockernde Aspekt des Gesprächs im Diskurs zwischen Nathan und Saladin.
- Bereits aufgrund ihrer unterschiedlichen sozialen Stellungen besteht eine gewisse Befangenheit der beiden Figuren Nathan und Saladin, wenn es um die Bildung eines Wahrheitskonzeptes für die einzig wahre Weltreligion geht. Fraglich ist, ob die beiden Männer zu einem gemeinsamen Kompromiss kommen, auch wenn sie sich nicht auf Augenhöhe befinden.
Schluss
- Das Gespräch zwischen Nathan und Saladin kann als Reflexion Lessings eigener Auffassung von Wahrheit angesehen werden.
- Anhand des Diskurses zwischen Nathan und Saladin wird Leser*innen verdeutlicht, dass durch die Herstellung eines gemeinsamen Verständnisses füreinander durch das Einbinden der Ringparabel Nathans, der Grundstein für eine argumentative Grundlage auf Augenhöhe gelegt wird.
- Auch wird aufgezeigt, dass auch der Diskurs zwischen Nathan und Saladin nicht vor möglichen Bedrohungen der eben erreichten Augenhöhe gefeit ist. So sind auch die Intervention des Patriarchen und Saladins Habgier und Machtposition Bestandteil des Gesprächs.