Thema 2
Textanalyse
Thema: Anton Eickel: Schule, stress mich nicht! (2017) Aufgabenstellung:- Analysiere den vorliegenden Text. Untersuche ihn hinsichtlich seiner wesentlichen inhaltlichen Aussagen und Struktur.
- Beschreibe dabei die ausgewählten sprachlichen Gestaltungselemente in ihrer Funktion.
Stress, dass es kein Wunder ist, wenn sie im Beruf an einem Burn-out erkranken.
Ein Kommentar
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6:10 Uhr – Der Wecker reißt mich aus dem Tiefschlaf und wie an jedem Morgen
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liefere ich mir einen Wettstreit mit der Snooze-Taste und frage mich, weshalb ich
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immer fünf Tage brauche, um mich nach dem Wochenende wieder an meinen
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Schlafrhythmus zu gewöhnen. Erst als ich mir zombieartig den Weg zur Dusche
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erarbeite, realisiere ich: Es ist erst Mittwoch. In diesem Moment verlässt mich
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dann auch der letzte Funke Motivation, denn mittwochs ist mein längster Schultag.
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Von 7:45 Uhr bis 17 Uhr muss ich fast durchgängig in dunklen Klassenzimmern
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hocken und vor dem genauso lustlos wirkenden Lehrer einen auf interessiert ma-
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chen. Wenn ich dann spätnachmittags nach Hause komme, ist mein Hausaufga-
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benheft bis auf die letzte Seite gefüllt, zumindest gefühlsmäßig. Für den nächsten
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Tag darf ich noch für Englisch eine Analyse und für Deutsch eine Charakterisie-
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rung schreiben und für die Bio-Klausur übermorgen müsste ich eigentlich auch
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mal anfangen zu lernen.
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Am Ende eines solchen Tages habe ich bestimmt zehn Stunden nur für die Schule
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gearbeitet. Was ist mit all den anderen Schüler*innen? Kommen die mit diesem
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Schultag klar oder lassen sie sich von dem ganzen Stress erdrücken?
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Aus meiner Sicht, sprich der eines 16-jährigen Schülers, leben wir in einer Gesell-
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schaft, die von Stress und Hektik bestimmt wird. Zahlreiche Menschen leben mit
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der Pflicht, immer erreichbar sein zu müssen, ihren streng getakteten und genau-
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estens durchgeplanten Terminplan einhalten zu müssen. Für diese Menschen be-
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deutet Alltag nur noch Stress, Zeit wird zur Mangelware. Ich spreche hier nicht
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von wenigen Workaholiker*innen, sondern von der Mehrheit der arbeitenden Ge-
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sellschaft, so wie ich sie erlebe und beobachte. [...]
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Eine neue Studie der Krankenkasse DAK bestätigt, dass 43 Prozent aller Schü-
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ler*innen unter Schulstress leiden. Das ist fast jede*r zweite Jugendliche. In der
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Studie werden zahlreiche Beschwerden aufgezählt, die ich bei fast allen meiner
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Mitschüler*innen wiedererkenne: Kopf-, Rücken- und Bauchschmerzen oder
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Schlafprobleme. Eine zweite Auffälligkeit, die in der Studie betont wird, ist, dass
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Mädchen viel häufiger von der Schule gestresst sind. Auch das kann ich ohne Be-
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denken unterschreiben, denn ich habe das Gefühl, dass die meisten Mädchen in
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meiner Klasse hohe Ansprüche an sich selbst hegen und Angst davor haben, zu
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versagen. Sie lernen mehr für Klausuren als wir Jungen, machen öfter und ordent-
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licher Hausaufgaben und arbeiten im Unterricht mehr mit.
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Weil wir diesen Schulstress irgendwann satt haben, fangen viele an, sich selbst
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Freiräume zu schaffen. Man tauscht sich mit Hausaufgaben aus oder verzichtet
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gleich ganz auf sie, freundet sich in immer mehr Fächern mit einer Vier an und so
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mancher schafft sich Abstand durch wochenendliche Alkoholexzesse oder durch
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andere Drogen, seien es Gras, Ego-Shooter oder die Sucht nach Serien.
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Doch auch dabei bleibt das Wesentliche auf der Strecke: Freund*innen, die Zeit
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für Künstlerisches, Musikalisches oder Sportliches, für die typische Rebellion und
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Auflehnung der Jugendlichen und die Zeit zum Nachdenken. Denn die Frage ist
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doch, was wird aus uns Kindern und Jugendlichen, wenn sie nicht mehr wissen,
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was Langweile bedeutet und nicht wissen, was ihre Stärken und ihre Schwächen
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sind, geschweige denn, wer sie sind – weil sie nie die Zeit hatten, mal ganz philo-
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sophisch über sich selbst und das Leben nachzudenken? Und das kann man sicher-
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lich nicht mal eben in einer Freistunde.
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Versteht mich nicht falsch, ich weiß, dass eine gewisse Anstrengung zur Schule
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dazugehört und möchte keineswegs Mitleid von euch, aber möchte ich zu-
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mindest versuchen, auf ein wichtiges Problem aufmerksam zu machen und eine
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mögliche Antwort auf die Frage zu geben, warum unsere Gesellschaft so unglück-
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lich, unzufrieden und Burn-out-gefährdet ist.
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Denn Stress und Hektik gehören mittlerweile bereits für Jugendliche zum Alltag
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und sind auch in den Schulen unserer Republik angekommen. Ein fataler System-
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fehler, der immer mehr Schüler*innen kränkt. Keine Einzelfälle. Ein Massenphä-
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nomen.
(Der Text folgt in Orthografie und Grammatik dem Original.)
Aus: Anton Eickel: Schule stresst mich nicht!, ze.tt vom 04.11.2017, https://ze.tt/schule-stress-mich-nicht/.
Einleitung
- Bei dem vorliegenden Text Schule, stress mich nicht! von Anton Eickel aus dem Jahr 2017 handelt es sich um einen Kommentar, der online bei ze.tt erschienen ist.
- Der 16-jährige Autor geht in seinem Text der Frage nach, warum unsere Gesellschaft heutzutage so unglücklich und Burn-out-gefährdet ist.
- Exemplarisch stellt er dabei seine eigenen Erfahrungen aus der Schule dar, die schon Jugendliche in einem Klima des Stresses und Zeitdrucks aufwachsen lässt.
- Während positiver Stress Menschen wachsen lässt und zu besseren Leistungen fördern kann, wirkt sich negativer Stress mit gesundheitlichen Problemen aus oder treibt schon junge Menschen in gefährliches Suchtverhalten.
Hauptteil
- Schon der Titel des Kommentars Schule, stress mich nicht! macht mit seinem Imperativ deutlich, dass der junge Autor Schule als zu stressig ansieht und fast schon flehentlich eine Veränderung des Systems fordert.
- Mit der Zwischenüberschrift schafft die Redaktion daraufhin einen direkten Zusammenhang zwischen dem vom Autor individuell erlebten Stress in der Schule und Burn-out-Erkrankungen im späteren Berufsleben generell.
- Der Autor will seine Leser im folgenden Text, der aus 8 unterschiedlich langen Absätzen besteht, für den Druck und die Hektik im Schulalltag sensibilisieren und arbeitet dabei mit verschiedenen Aussagen und Darstellungen.
- Zunächst steigt er mit einer detaillierten Beschreibung seines eigenen, täglichen Alltags in den Kommentar ein, um die Leser quasi miterleben zu lassen, wie sich ein Schüler so fühlt. Dabei betont er mit einer Personifikation des leidigen Weckers, wie er zu früh aus dem Schlaf gerissen wird (Vgl. Z. 1), spricht umgangssprachlich vom „Wettstreit mit der Snooze-Taste“ (Z. 2) und seinem „zombieartigen“ Gang ins Badezimmer (Z. 4) und betont die allmorgendliche Anstrengung, wenn er das Verb „erarbeite“ nutzt (Z. 5).
- Des Weiteren beschreibt er, dass auch in der Schule nur schwer Motivation aufkommen kann. Immerhin hocke er dort an seinem längsten Schultag neun Stunden lang in „dunklen Klassenzimmern“ vor „lustlos wirkenden Lehrern“ (Vgl. Z. 7-8). Im Unterricht mitzuarbeiten, scheint ihm schwerzufallen, wenn er in Jugendsprache betont, er müsse „einen auf interessiert machen“ (Z. 8-9).
- Der Stress und die Überforderung sind aber selbst nach Unterrichtsschluss nicht vorbei. Der Autor listet in einer langen Aufzählung auf, welche Hausaufgaben und Klausurvorbereitungen ihn zu Hause noch erwarten (Vgl. Z. 11-13). Dies betont er mit der ironischen Formulierung „Für den nächsten Tag darf ich noch...“ (Z. 10-11)
- Im nächsten Absatz stellt der Autor die rhetorische Frage in den Raum, wie es wohl anderen Schüler*innen ergeht und ob diese sich auch gestresst fühlen. Die Personifikation des Stresses, der stark ist und die Schüler „erdrückt“ (Z. 16), lässt erahnen, dass für ihn die Antwort eindeutig ist.
- Im 3. Absatz zeigt Anton Eickel auf, dass Stress ein gesellschaftliches Problem ist, das keineswegs nur Schüler betrifft. Seinem Empfinden nach lebt ein Großteil der Menschen mit der „Pflicht, immer erreichbar sein zu müssen, ihren streng getakteten ... Terminplan einhalten zu müssen“ (Z. 19-20). Er vergleicht Zeit dabei bildlich mit „Mangelware“ (Z. 21).
- Für seinen 4. Absatz zieht der Schüler eine Studie der Krankenkasse DAK als Beleg heran, laut der 43 Prozent aller Schüler*innen unter Schulstress leiden. Während er die in der Studie genannten gesundheitlichen Beschwerden wie Kopf- und Rückenschmerzen aufzählt, betont er die Übereinstimmung dieser Ergebnisse mit seinem eigenen Erleben (Vgl. Z. 26-27). Außerdem zitiert er aus der Studie, dass Schülerinnen mehr unter Druck und Versagensangst leiden als Schüler (Vgl. Z. 28-33).
- Im nächsten Absatz widmet sich der Autor den Folgen des Stressempfindens, die seiner Meinung nach häufig in gefährlichen Kompensationsversuchen enden. Dabei spricht er umgangssprachlich von „weil wir diesen Schulstress irgendwann satt haben“ (Z. 34), was deutlich macht, dass er sein Empfinden auf Schüler generell bezieht.
- In einer sich drastisch steigernden Aufzählung nennt Eickel Auswirkungen wie Abschreiben, Leistungsverweigerung, Akzeptanz schlechter Noten, Alkoholeskapaden, Drogen-, Spiel- oder Seriensucht (Vgl. Z. 35-38).
- Des Weiteren betont der Autor im folgenden Absatz, dass die viel schlimmere Auswirkung des Stresses sei, dass keine Zeit mehr für soziale Kontakte, Hobbies und die eigentlich dadurch entstehende Selbstfindung sei. Dabei wirft er ganz provokant die rhetorische Frage in den Raum: „Was wird aus uns Kindern und Jugendlichen, wenn sie nicht mehr wissen, was Langeweile bedeutet und nicht wissen, was ihre Stärken und ihre Schwächen sind, geschweige denn, wer sie sind?“ (Z. 42-44)
- Darauf folgt eine direkte Ansprache des Autors an die Leser („Versteht mich nicht falsch“, Z. 47). Ihm sei bewusst, dass Schule auch Anstrengung bedeute, dass er allerdings in Sachen Stress und Burn-out-Gefahr sensibilisieren wolle. Damit zeigt er auf, wie reflektiert er an die Problematik herangeht und dass es ihm um eine Warnung geht.
- Den letzten Absatz nutzt Eickel dafür, aufbauend auf seiner vorherigen Darlegung und Argumentation, Stress und Hektik final als Systemfehler an unseren Schulen aufzuzeigen und konkret zu benennen. Mit den beiden verkürzten und beinahe synonymen Schlusssätzen „Keine Einzelfälle. Ein Massenphänomen.“ betont der Autor dies sprachlich ganz bewusst, um einen noch bleibenderen Eindruck bei den Lesern zu hinterlassen.
Schluss
- Der Autor hat mit einem gut strukturierten Text zum Nachdenken angeregt.
- Nicht nur, dass er den Leser durch seine bildliche, detaillreiche Beschreibung quasi in die Schule mitgenommen hat. Er hat durch die zitierte Studie auch Fakten geliefert.
- Die als rhetorische Fragen formulierten Denkansätze erscheinen aufgrund der vorherigen Argumentation nachvollziehbar und anschaulich.
- Obwohl der Text schon 2017 verfasst wurde, passt er noch immer in die Zeit. Stress, Hektik und Burn-outs stehen heute an der Tagesordnung und sollten als Problem endlich schon an Schulen ernst genommen werden.