Aufgabe 3
Textbeschreibung Prosa
Thema:- Pattie Wigand: Ein Montagmorgen im Bus
- Verfasse eine Textbeschreibung zum vorliegenden Prosatext.
- Beachte dabei vor allem folgende Punkte:
- Der Text muss mindestens 150 Wörter umfassen, er kann jedoch auch länger sein. Schreibe in vollständigen Sätzen. Gliedere deinen Text in Einleitung, Hauptteil und Schluss. Achte auf korrekte Sprache und Rechtschreibung, beides wird bewertet.
(50 P)
Material
Ein Montagmorgen im Bus
Pattie Wigand
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Es waren drei kleine Wörter, die ein Wunder bewirkten.
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Als ich in den Bus stieg, schien die Sonne. Bei einem Blick aus dem Fenster des 151ers
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zeigte sich freilich der Winter in Chicago von seiner schmutzigsten Seite – kahle Bäume,
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Schneematsch, die Autos voller Streusalzspritzer.
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Der Bus fuhr mehrere Kilometer am Lincolnpark entlang, aber niemand schaute hinaus.
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Wir, die Fahrgäste, saßen in dicken Mänteln dicht nebeneinander und dösten zum
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eintönigen Rattern des Motors in der stickigen, überheizten Luft. Kein Mensch sprach.
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Das gehörte zu den ungeschriebenen Regeln des Berufsverkehrs in Chicago. Zwar
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begegneten uns jeden Tag dieselben Gesichter, aber wir versteckten uns lieber hinter
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unseren Zeitungen. Menschen, die nebeneinander saßen, hielten mit dünnen Bögen
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Papier Distanz.
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Als sich der Bus den Wolkenkratzerpalästen näherte, ertönte plötzlich eine laute Stimme
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aus den Lautsprechern: „Achtung! Achtung!“ Zeitungen raschelten. Hälse streckten sich.
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„Hier spricht der Fahrer.“ Stille. Alles starrte dem Fahrer auf den Hinterkopf. In seiner
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Stimme lag Autorität. „Legen Sie alle die Zeitung weg.“ Langsam, zentimeterweise
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sanken die Blätter. Der Fahrer wartete. Wir falteten die Zeitungen zusammen und legten
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sie auf den Schoß. „Nun drehen Sie alle den Kopf zur Seite und sehen Sie Ihrem
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Sitznachbarn ins Gesicht. Na, los, auf geht's!“ Erstaunlicherweise gehorchten wir. Noch
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lächelte niemand. In gedankenlosem Gehorsam folgten wir wie eine Herde.
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Neben mir saß eine ältere Frau mit rotem, fest um den Kopf geschlungenen Schal. Ich
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sah sie fast täglich. Wir blickten uns in die Augen und warteten unbewegt auf die nächste
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Anweisung.
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„Jetzt sprechen Sie mir nach … “
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Es war ein Befehl, erteilt im Ton eines militärischen Ausbilders: „Guten Morgen,
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Nachbar!“ Die Stimmen klangen schwach und ängstlich. Bei vielen von uns waren es die
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ersten Worte, die uns an dem Tag über die Lippen kamen. Doch wir sagten sie wie
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Schulkinder im Chor zu dem fremden Menschen neben uns.
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Wir lächelten uns an. Wir konnten nicht anders. Da war zum einen das Gefühl der
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Erleichterung, dass wir nicht entführt oder ausgeraubt wurden, zum anderen aber auch
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das leise Empfinden, dass eine lange unterdrückte allgemeine Höflichkeit zum Vorschein
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kam. Wir hatten es gesagt: Das Eis war gebrochen. Guten Morgen, Nachbar. Eigentlich
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war es gar nicht so schwer. Einige wiederholten es sogar. Andere gaben sich die Hand.
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Viele lachten. Der Busfahrer sagte nichts mehr. Es war auch gar nicht nötig. Keine
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einzige Zeitung wurde wieder hochgenommen. Alle unterhielten sich angeregt. Erst
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hatten wir zwar den Kopf über den verrückten Kerl von Fahrer geschüttelt, aber nun
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waren wir alle froh über seinen Einfall. Immer wieder gab es Gelächter, freundliche
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Gespräche, wie ich sie nie zuvor in einem Linienbus gehört hatte.
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Als wir meine Haltestelle erreichten, sagte ich meiner Nachbarin auf Wiedersehen und
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sprang aus der Bustür, um einer Pfütze auszuweichen. An derselben Haltestelle hatten
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vier weitere Busse angehalten, deren Fahrgäste einstiegen. Die Weiterfahrenden saßen
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regungslos und stumm da. Anders die Leute in meinem Bus. Als er losfuhr, brachten ihre
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lebhaften Mienen mich zum Lachen. Der Tag hatte besser angefangen als alle Tage
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sonst.
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Ich blickte dem Fahrer nach. Er sah konzentriert in den Rückspiegel, um eine Lücke im
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Verkehr zu erspähen. Es schien ihm gar nicht bewusst zu sein, welch ein
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Montagmorgenwunder er da vollbracht hatte.
Aus: Wagener, Andrea (Hg.): Deutschbuch 8. Berlin: Cornelsen Verlag. 2017. S. 127 f. (zu Prüfungszwecken bearbeitet).
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- Der vorliegende Kurzprosatext mit dem Titel Ein Montagmorgen im Bus stammt von der Autorin Pattie Wigand und berichtet von einer außergewöhnlichen Busfahrt an einem Montagmorgen.
- Die Autorin stellt die Wichtigkeit von Höflichkeit und Freundlichkeit im Umgang mit anderen dar. Der Text beinhaltet eine überraschende Veränderung im Verhalten der Fahrgäste und regt die Leserschaft dazu an, über ihre Kommunikation mit anderen Menschen nachzudenken.
Hauptteil
Formale Analyse
- Durch die verwendete Ich-Perspektive gelingt es, eine persönliche Verbindung zwischen Hauptfigur und Leser*innen zu schaffen. Für die Ich-Perspektive spricht, dass mehrfach das Personalpronomen „Ich“ verwendet wird. Diese Erzählform bewirkt, dass die Leser*innen Anteil an der Gefühls- und Gedankenwelt der Hauptfigur haben (z. B. Vgl. Z. 38-39). Über weitere Informationen der Hauptfigur wie z. B. Alter oder Geschlecht erfährt Wigands Leserschaft jedoch nichts.
- Das Werk folgt einer chronologischen Struktur, die der Geschichte ihre Ordnung verleiht und sie verständlich macht. Der Text beginnt mit der Beschreibung des Geschehens im Bus an einem Montagmorgen, die in einen plötzlichen Wendepunkt mündet und damit endet, dass die Hauptfigur die Geschehnisse im Bus reflektiert.
- Die detailreiche Beschreibung der Busfahrt und des Wetters zu Beginn des Textes (Vgl. Z. 2-11) spiegeln die Eintönigkeit und Monotonie des Alltäglichen wider. Diese enorme Bildlichkeit sorgt ebenfalls für die Lebendigkeit und Authentizität des Textes. Der zahlreiche Einsatz von Adjektiven (z. B. „schmutzigsten“, Z. 3; „dicken“, Z. 6; „dicht“, Z. 6; „stickigen“, Z. 7; „überheizten“, Z. 7) unterstützt die detailreiche Sprache der Autorin. Zu Beginn des Textes bestärken die Adjektive die negative und bedrückte Stimmung der Szene.
- Mithilfe der Metapher „wie eine Herde“ (Z. 19) wird das gehorsame Handeln der Fahrgäste als Reaktion auf die Anweisungen des Busfahrers mit dem Verhalten einer Tierherde verglichen. Das Verhalten der Fahrgäste ist zunächst noch eher mechanisch und mehr von Konformität statt persönlichen Bindungen und Empathie geprägt, da die Aufforderung des Busfahrers sehr unerwartet kommt.
- Die Autorin arbeitet mit Kontrasten und Antithesen (z. B. „Kein Mensch sprach.“; Z. 7; „Immer wieder gab es Gelächter, freundliche Gespräche“, Z. 36 f.), um die Wirkung der Aufforderung des Busfahrers zu verdeutlichen. Die anfängliche Stille, Monotonie und Distanz stehen im Gegensatz zur späteren Lebhaftigkeit, Fröhlichkeit, Nähe und aufgeweckten Interaktion der Fahrgäste.
Inhaltliche Analyse
- Darstellung der Handlung: Einleitend beschreibt der Text, wie die Hauptfigur an einem kalten Wintertag in einen überfüllten Linienbus in Chicago steigt (Vgl. Z. 2-4). So wie jeden Tag schweigen sich auch an diesem Montagmorgen die Fahrgäste gegenseitig an, tauschen kein Wort miteinander aus und verstecken sich hinter ihren Zeitungen (Vgl. Z. 9 f.). Die Situation ändert sich jedoch, als der Busfahrer in autoritärem Ton eine Durchsage macht (Vgl. Z. 15), in der er seine Fahrgäste dazu auffordert, ihre Zeitungen wegzulegen, sich einander anzuschauen und ihren Sitznachbarn einen „Guten Morgen“ zu wünschen (Vgl. Z. 15 ff.). Die Durchsage des Busfahrers hat eine positive Auswirkung auf die gesamte Stimmung im Bus. Die Fahrgäste lächeln einander an und kommen sogar miteinander ins Gespräch (Vgl. Z. 31 ff.).
- Erleichterung der Fahrgäste: Die Fahrgäste vermuten aufgrund der plötzlichen Durchsage des Busfahrers, seines autoritären Tons und dem bedrohlichen Ausruf „Achtung, Achtung!“ (Z. 13), dass etwas Schlechtes passiert. Diese Erwartung, wie z. B. „entführt oder ausgeraubt“ (Z. 29) zu werden, bestätigt sich jedoch glücklicherweise nicht. Anstatt eines schlimmen Ereignisses kommt es zu einer angenehmen Situation, was die Erleichterung der Fahrgäste erklärt. Ebenfalls hat die Durchsage des Busfahrers dazu geführt, die distanzierte und monotone Atmosphäre zwischen den Fahrgästen aufzubrechen. Dieses „leise Empfinden, dass eine lange unterdrückte allgemeine Höflichkeit zum Vorschein kam“ (Z. 30 f.) kann mit einem erleichternden bzw. befreienden Gefühl in Verbindung gebracht werden. Die lebhafte, positive Stimmung sorgt dafür, dass die Personen sich auf ihrer weiteren Fahrt im Bus glücklich fühlen.
- Vergleich des Verhaltens der Fahrgäste: Die Fahrgäste, die mit dem Protagonisten in einem Bus sitzen, sind gut gelaunt und einander zugewandt. Im Gegensatz dazu sitzen die Fahrgäste in den anderen vier Bussen „regungslos und stumm“ (Z. 41) da und suchen keine soziale Interaktion zueinander. Der Protagonist und die anderen Fahrgäste erfahren eine positive Veränderung ihrer Stimmung. Die Personen in den anderen Bussen verharren hingegen in ihrer Passivität.
- Erklärung des Begriffs „Montagmorgenwunder“: Die überraschende Aufforderung des Busfahrers hat die Stimmung der Fahrgäste an einem Montagmorgen völlig verändert. Ein typischer Montagmorgen im Bus ist meistens von Stille und Desinteresse geprägt, wie auch am Anfang der Kurzprosa deutlich wird. Die Aufforderung zu sozialer Interaktion erzielt jedoch eine positive und gut gelaunte Stimmung. Man merkt, dass die plötzliche Veränderung eine enorme Wirkung auf die Fahrgäste hat und diese womöglich auch über die Busfahrt hinaus positiv beeinflusst wurden. Die Hauptfigur denkt sich: „Der Tag hatte besser angefangen als alle Tage sonst.“ (Z. 42 f.) Durch seine unkonventionelle Art ist es dem Busfahrer möglich, die starren „Regeln des Berufsverkehrs“ (Z. 8) zu brechen. Für den Protagonisten und die anderen Fahrgäste fühlt sich diese Situation wie ein Wunder an, da sie dazu veranlasst werden, sich gegenseitig freundlich anzuschauen und miteinander zu sprechen. Dies war bisher noch nie der Fall, obwohl die Personen schon lange Zeit gemeinsam Bus fahren (Vgl. Z. 9).
Schluss
- Der Kurzprosatext verfolgt eine wichtige Botschaft, die einen zum Nachdenken anregt. Der Text zeigt eindrucksvoll, wie leicht es sein kann, Freundlichkeit im Umgang mit anderen Menschen zu integrieren.
- Der Busfahrer bringt durch seine außergewöhnliche Aktion ein Gefühl von Gemeinschaft und Verbundenheit in den Bus und macht deutlich, dass Werte wie Freundlichkeit und Höflichkeit generell von enormer Bedeutung sind und auch in einer hektischen Großstadt und im Berufsverkehr nicht vergessen werden sollten. Durch die Aktion des Busfahrers können die Fahrgäste ihren Tag weitaus positiver und glücklicher als sonst beginnen.
- Viel zu häufig verlieren wir uns in der Hektik des Alltags zu sehr in unserer eigenen Welt, weshalb ich mir wünschen würde, dass wir Menschen freundlicher miteinander umgehen und öfter aufeinander zugehen. Der Text zeigt uns, dass es nicht schwer ist, unsere soziale Distanz zu überwinden und ermutigt uns, einander mit Höflichkeit zu begegnen. Kleine Taten oder Gesten im sozialen Kontakt miteinander erzielen oft eine große Wirkung oder sogar ein Wunder, ohne dass man sich dessen überhaupt bewusst ist.