HT 1 – Evolution
Thema: Evolution der Ariamnes-Spinnen
1.
Nenne eine Definition für die ökologische Nische und erläutere vor diesem Hintergrund die Koexistenz der beiden Arten A. huinakolu und A. kahili (Materialien A und B). Stelle Hypothesen zu den jeweiligen Selektionsvorteilen der äußeren Merkmale der Arten A. makue, A. corniger und A. hiwa auf (Material A).
(16 Punkte)
2.
Nenne die methodischen Schritte zur Erstellung des in Abbildung 2 gezeigten phylogenetischen Stammbaums (Material B). Analysiere die phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnisse unter Berücksichtigung der Besiedlung der einzelnen Inseln der Hawaii-Inselgruppe (Material B). Erläutere zwei Möglichkeiten der Besiedlung der jeweils neu entstandenen Inseln durch Ariamnes-Spinnen (Materialien A und B).
(22 Punkte)
3.
Entwickle Hypothesen zur evolutiven Entstehung der Artenvielfalt der Ariamnes-Spinnen auf der Hawaii-Inselgruppe (Materialien A und B). Prüfe in diesem Zusammenhang, ob das Merkmal der goldenen Farbe das Ergebnis einer konvergenten Entwicklung ist (Materialien A und B).
(16 Punkte)
Material A: Die Gattung Ariamnes auf der Hawaii-Inselgruppe
Die Gattung Ariamnes gehört zur Familie der Haubennetzspinnen und kommt mit zahlreichen Arten auf der Hawaii-Inselgruppe vor. Die größte Art A. kahili wird maximal 11,3 mm groß.Ariamnes-Spinnen halten sich tagsüber in unterschiedlichen Ruhehabitaten versteckt (Tabelle 1). Es handelt sich um nachtaktive Räuber, die keine standortgebundenen Netze bauen, sondern auf der Suche nach Beute frei umherlaufen und ihre Beute mit einem zwischen den Hinterbeinen gewebten Netz fangen. Bei einigen Arten konnte zusätzlich ein kleptoparasitäres Verhalten beobachtet werden, bei dem diese Spinnen auf die Netze anderer Spinnenarten klettern und deren Beute oder die Spinnen selbst fressen. Fressfeinde der Ariamnes-Spinnen sind neben anderen Spinnen insbesondere Vögel. Tab. 1: Vorkommen und ausgewählte Merkmale der bekannten Ariamnes-Arten auf der Hawaii-Inselgruppe
Material B: Verwandtschaftsbeziehungen der Ariamnes-Spinnen
Die Hawaii-Inselgruppe liegt etwa 3800 km vom nordamerikanischen Kontinent entfernt im Pazifischen Ozean und ist vulkanischen Ursprungs. Sie umfasst neben der größten und jüngsten Insel Hawaii weitere Inseln, von denen Kauai die älteste ist (Abbildung 1). Die Inseln bieten vielfältige Lebensräume für eine große Zahl von Tier- und Pflanzenarten.
Abb. 1: Geographische Lage und ungefähres Alter der Inseln der Hawaii-Inselgruppe.
Das ungefähre Alter der Inseln ist in Klammern angegeben.
Das ungefähre Alter der Inseln ist in Klammern angegeben.

Abb. 2: Phylogenetischer Stammbaum und heutiges Vorkommen von Ariamnes-Arten auf der Hawaii-Inselgruppe. Argyrodes trigonum bildet im Stammbaum die Außengruppe.
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1.
Definition für die ökologische Nische:
Unter dem Begriff ökologische Nische versteht man das Wechselspiel zwischen einer Art und der Gesamtheit der biotischen und abiotischen Umweltfaktoren, die in diesem Lebensraum vorherrschen. Daraus ergibt sich ein Lebensraum, den die Art beleben kann, ohne, dass sie dort von anderen Lebewesen oder von äußeren Faktoren verdrängt wird.
Koexistenz von A. huinakolu und A. kahili :
Die beiden Arten A. huinakolu und A. kahili teilen sich das Habitat Feuchtwald. Innerhalb dieser Region haben sich die Arten jedoch auf eine ökologische Nische spezialisiert. Während A. huinakolu ihr Ruhehabitat im Moos hat, hält sich A. kahili lieber unter Blättern auf. Die beiden Arten unterscheiden sich auch phänotypisch: A. huinakolu ist dunkel gefärbt und hat einen kurzen Hinterleib, A. kahili ist gold gefärbt und besitzt einen langgestreckten Hinterleib. Die phänotypischen Unterschiede können einen Hinweis auf das Jagdverhalten und potenziell bevorzugte Beutetiere geben. Somit kommen die beiden Arten zwar im gleichen Gebiet vor, können jedoch aufgrund der Unterschiede koexistieren.
Selektionsvorteile verschiedener Arten:
- A. makue : Mit ihrer dunklen Färbung und einem langgestreckten Hinterleib ist diese Art optimal in ihrem Ruhehabitat unter abgestorbenen Farnen getarnt. Potenzielle Räuber und Beutetiere erkennen die Spinne nicht so schnell.
- A. corniger : Mit ihrer matt weißen Färbung und einem langgestreckten Hinterleib ist diese Art optimal in ihrem Ruhehabitat in weißen Flechten getarnt. Potenzielle Räuber und Beutetiere erkennen die Spinne nicht so schnell.
- A. hiwa : Mit ihrer dunklen Färbung und einem langgestreckten Hinterleib ist diese Art optimal in ihrem Ruhehabitat in Felsspalten getarnt. Potenzielle Räuber und Beutetiere erkennen die Spinne nicht so schnell.
2.
Methodische Schritte zur Erstellung des phylogenetischen Stammbaumes:
Von allen Spinnenarten werden mitochondriale und nukleäre DNA-Sequenzen aus Einzeltieren isoliert, durch PCR amplifiziert und sequenziert. Die Nukleotidabfolge der Sequenzen ist nun bekannt. Die Sequenzen werden mithilfe eines Algorithmus alignt, das heißt sie werden miteinander vergleichen, um herauszufinden, wie stark sie sich ähneln. Je größer die Überschneidungen der DNA-Sequenzen, desto höher ist der Verwandtschaftsgrad. Auf Basis des Sequenzalignments kann nun ein phylogenetischer Baum erstellt werden, an dem abgelesen werden kann, wie nah verschiedene Arten miteinander verwandt sind.
Verwandtschaftsverhältnisse der Spinnenarten der Hawaii-Inselgruppe:
Die in den USA lebende Art Argyrodes trigonum bildet im phylogenetischen Baum die Außengruppe. Vor etwa 1,75 Millionen Jahren zweigte sich die auf Kauai lebende Art A. huinakolu und die Klade, die alle anderen, später auf der gesamten Inselgruppe lebenden Arten enthält, ab. Die ebenfalls auf Kauai lebende Art A. kahili ist dabei näher mit allen anderen verbleibenden Arten der Inselgruppe verwandt als mit A. huinakolu. Sie bildet mit ihnen ein Monophylum, das auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgeht, welcher sich vor etwa 1,5 Millionen Jahren entwickelte. Auf der Insel Oahu leben A. uwepa und A. makue, die Schwesterngruppen zueinander sind, und deren letzter gemeinsame Vorfahre vor etwa 750.000 Jahren entstand. Auf Molokai kommt nur die Art A. poele vor. Diese Art bildet mit den auf Maui vorkommenden Arten und der Art A. waikula eine monophyletische Gruppe. Aus ihrem letzten gemeinsamen Vorfahren sind auch die Arten A. melekalikimaka, ihre Schwestergruppe A. alepelke, sowie A. laau mit deren Schwestergruppe A. corniger und A. waikula entstanden. Die Art A. waikula ist zwar zu der Art A. corniger näher verwandt als zu A. hiwa, kommt jedoch gemeinsam mit A. hiwa auf Hawaii vor. Aus den in dem phylogenetischen Baum dargestellten Verwandtschaftsverhältnissen geht hervor, dass zuerst Kauai, dannn Oahu und Molokai besiedelt wurden. Die Spinnenart auf Hawaii und die Arten auf Maui und Molokai haben denselben gemeinsamen Vorfahren. Auf Maui hat sich der Baum im Laufe der Zeit jedoch mehrmals in verschiedene Arten aufgespalten. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass Maui früher als Hawaii besiedelt wurde. Die schrittweise Besiedlung der Inseln deckt sich somit mit deren geografischer Entstehung.
Möglichkeiten zur Besiedlung der Inseln:
- Möglichkeit 1: Durch einen starken Sturm könnte der letzte gemeinsame Vorfahre der heute auf der Inselgruppe lebenden Arten durch Verdriftung nach Kauai gelangt sein, und sich von dort aus mit der Entstehung neuer Inseln ebenfalls durch starke Wetterereignisse weiter verbreitet haben.
- Möglichkeit 2: Alternativ könnten die Spinnen im Federkleid von Vögeln auf die Inselgruppe gelangt sein. Vögel könnten auch von Insel zu Insel geflogen sein, und so für die Ausbreitung der Spinnen gesorgt haben.
3.
Evolutive Entstehung der Artenvielfalt der Spinnen:
Vor etwa 2,5 Mio. Jahren trennte sich die Ariamnes-Stammart von der Vorfahrenpopulation der heute in den USA heimischen Art Argyrodes trigonum. Daher ist anzunehmen, dass Individuen der möglicherweise kleptoparasiten Ariamnes-Stammart zur gleichen Zeit aus den USA auf die Hawaii-Inselgruppe gelangten (Gründerpopulation). Vermutlich existierte neben Kauai damals auch Oahu und eventuell Molokai. Diese und die in der Folgezeit entstandenen Inseln wiesen eine Vielzahl an ökologischen Nischen auf, die sich aber auf den einzelnen Inseln auch teilweise ähnelten. Die Spinnen fanden vermutlich günstige Lebensbedingungen (abiotische Faktoren, ausreichend Beutetiere, wenig Konkurrenzdruck) vor, sodass es zu einer raschen Ausbreitung der Population und lokal eventuell auch zu Konkurrenz innherhalb der Art kam. Bei der Artaufspaltung der Ariamnes-Stammart war vermutlich der Evolutionsfaktor Isolation, v. a. die geografische Isolation (Separation), von Bedeutung. Gelangten beispielsweise Teilpopulationen einer Population auf eine andere Insel, wurden die Genpools der Populationen voneinander getrennt und entwickelten sich unter verschiedenen Selektionsbedingungen in unterschiedliche Richtungen weiter. Möglicherweise fand eine solche allopatrische Artbildung statt, als eine Teilpopulation der Ursprungsart von A. corniger und A. waikula von Maui auf die jüngste Insel Hawaii gelangte und sich dort zur Art A. waikula entwickelte. Aber auch innerhalb desselben Lebensraumes könnte es zu einer Einnischung und Artbildung gekommen sein. Darauf weisen Arten wie A. uwepa und A. makue hin, die auf der Insel Oahu identische Habitate besiedeln. So könnte u. a. Konkurrenzdruck (als Selektionsfaktor) dazu geführt haben, dass durch das Wirken von Evolutionsfaktoren, wie Mutation und Selektion, Individuen oder Teilpopulationen entstanden, die sich z. B. in ihrer Farbe, in ihrem Ruhehabitat oder in ihrer Jagdstrategie unterschieden. Diese Eigenschaften trugen zur Vermeidung innerartlicher Konkurrenz bei und führten zur Ausbildung unterschiedlicher ökologischer Nischen in demselben Lebensraum. Daher lässt sich bei der Entstehung der Ariamnes-Artenvielfalt vom evolutiven Prozess der adaptiven Radiation ausgehen. Dabei spaltet sich eine Stammart, oftmals nachdem ein neuer Lebensraum besiedelt wurde, in recht kurzer Zeit in viele neue Arten auf.
Merkmal der goldenen Farbe:
Unter dem Begriff Konvergenz versteht man die voneinander unabhängige Entwicklung analoger Organe bei verschiedenen Arten aufgrund von ähnlichen Umweltbedingungen. Die goldene Farbe könnte so ein Ergebnis von ähnlichen Selektionsdrücken sein, die in den verschiedenen ökologischen Nischen auf die Spinnenarten wirken. Aus Tabelle 1 geht hervor, dass alle Spinnenarten mit goldener Färbung ihr Ruhehabitat unter Blättern haben, und fast alle im Feuchtwald leben. Insofern kann man sagen, dass sie in ihrer ökologischen Nische einem ähnlichen Selektionsdruck ausgesetzt sind, der dafür verantwortlich ist, dass sich die goldene Färbung durchgesetzt hat. Um auszuschließen, dass es sich bei der goldenen Färbung nicht um ein abgeleitetes (d. h. durch einen gemeinsamen Vorfahren vererbtes) Merkmal handelt, muss man sich dem Verwandtschaftsverhältnis der Spinnenarten klar werden. Im Baum kann man erkennen, dass das Merkmal, in der Regel nie ein Monophylum dominiert. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass das Merkmal bei Arten, die nicht nahe verwandt sind, nicht von einem gemeinsamen Vorfahren vererbt wurde, sondern im Laufe der Evolution mehrfach unabhängig voneinander entstanden ist. Die goldene Farbe tritt auch bei den nahe verwandten Arten A. melekalikimaka und A. alepeleke auf. In diesem Fall geht die Färbung vermutlich auf einen gemeinsamen Vorfahre zurück.