Aufgabenstellung A
Hinweis: Von den vier vorgelegten Aufgabenstellungen ist eine zur Bearbeitung auszuwählen.
Anmerkungen zum Autor:
Gustav Seibt (* 1959) ist Literaturkritiker, Essayist und Historiker. Aus: Seibt, Gustav: Sire, geben Sie Begriffsfreiheit! In: Süddeutsche Zeitung (23./24.02.2019), S. 17. (Sprachliche Fehler in der Textvorlage wurden entsprechend der geltenden Norm korrigiert.)
Analyse pragmatischer Texte
Thema: Gustav Seibt: Sire, geben Sie Begriffsfreiheit! (2019) Aufgabenstellung:- Analysiere den Text von Gustav Seibt. Berücksichtige dabei den Gedankengang, die sprachlich-stilistische Gestaltung sowie die Intention des Textes. (ca. 70 %)
- Nimm begründet Stellung zu Seibts Position zum Framing als Element öffentlicher Meinungsbildung. (ca. 30%)
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Man kann den Mond am Nachthimmel mit einer halbierten Aspirintablette vergleichen oder mit
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einer silbernen Rasierschale, die halb im schwarzen Wasser steckt. Man kann von Bäumen
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sagen, dass sie vom Wind geschüttelt werden oder dass sie sich langsam wiegen wie gesittete
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Tänzer auf einer vollen Tanzfläche. Man kann von einem Himbeermund sprechen oder
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erklären, der Mund gleiche dem dunkelroten Siegel auf einem Brief, in dem nichts steht.
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Metaphern!
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Die drei auffälligsten der genannten stammen von Arno Schmidt (Aspirintablette), Hilary
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Mantel (Tanzfläche) und Vladimir Nabokov (Siegellack). Metaphern beschreiben die Welt
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immer wieder neu, je überraschender, desto lustbringender. Der Aha-Effekt entsteht durchs
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Wiedererkennen, durch den plötzlichen Funkenflug zwischen sehr entfernten Gegenständen,
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etwa einem Gesicht und einem Brief, in dem nichts steht.
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Warum beschäftigen wir uns mit Dichtung und Literatur? Unter anderem, um Abstand und
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Freiheit von der Sprache zu gewinnen, um durch ungewöhnliche Formulierungen zu erfahren,
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dass jede Rede die Welt von einer anderen Seite zeigt, ja sie immer wieder neu schaffen kann,
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fast, als sähen wir sie zum ersten Mal.
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Gerade wird viel über „Framing“ gesprochen, weil die ARD vor zwei Jahren ein
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Diskussionspapier erstellen ließ, in dem erklärt wird, wie sie sich der Öffentlichkeit, also den
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Gebührenzahlern, durch Sprachregelungen angenehm machen kann. „Frames“, „Rahmen“,
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sollen sprachliche, vor allem metaphorische Vorgaben und Zusammenhänge sein, die die
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Wahrnehmungen und Weltauffassungen der Menschen steuern. Praktisch wird zum Beispiel
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empfohlen, das Wort „Zwangsgebühr“ wegen seiner negativen Assoziationen unbedingt zu
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meiden, sondern stattdessen von „unserer finanziellen Beteiligung“ zu sprechen.
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Damit soll suggeriert werden, wir Gebührenzahler hätten Anteile an den öffentlich-rechtlichen
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Rundfunkanstalten erworben, denn „die ARD ist von uns, mit uns und für uns geschaffen“, und
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das unterscheide sie von „medienkapitalistischen Heuschrecken“. „Heuschrecken“, das ist
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fast schon ein poetisches Bild, wenn auch ein abgegriffenes, es assoziiert ursprünglich
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Kahlfraß, im kapitalismuskritischen Rahmen aber feindliche Übernahmen durch börsennotierte
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Unternehmen.
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Die Theorie des Framings glaubt nun, solche Sprachmanöver hätten eine unfehlbare,
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zwangsläufige Wirkung, jedenfalls wenn man sie lange und konsequent genug betreibe.
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Sprache wirkt, heißt das, und zwar vorrational, unbewusst, direkt über das Gehirn und seine
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Neuronen. Der Mensch habe nämlich einen kognitiven Apparat (auch so eine Metapher), der
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es ihm erlaube, die Welt nur innerhalb solcher Rahmungen aufzufassen. Einmal ist der
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Rundfunk eine Art genossenschaftliches Unternehmen mit uns als Teilhabern, das andere Mal
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ein „profitwirtschaftlicher Sender“.
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Nun könnte man sagen, dergleichen müsste sich überprüfen lassen, man könnte ja
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Finanzierungsquellen und Geschäftsmodelle vergleichen. Doch so denkt die Framingtheorie
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nicht. An der vielleicht schrillsten Stelle des ARD-„Manuals“ schreibt die Verfasserin Elisabeth
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Wehling: „Entgegen dem gängigen Mythos entscheidet der Mensch sich nicht ‚rein rational‘
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und aufgrund einer ‚objektiven‘ Abwägung von Fakten für oder gegen Dinge, denn objektives,
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faktenbegründetes und rationales Denken gibt es nicht, zumindest nicht in der Form, in der es
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der Aufklärungsgedanke suggeriert. Jedes Verarbeiten von Fakten findet innerhalb von
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Frames statt.“ Und dann kommt das berühmte Beispiel vom Glas Wasser, das entweder halb
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voll oder halb leer sei: „Eine Frage des Framings.“
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„Rationales Denken gibt es nicht.“ Die Framing-Forschung zeige nämlich „eindeutig, dass
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Menschen sich in ihren Entscheidungen von Frames anleiten lassen – ohne dies zu merken.
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Eine Margarine mit ‚nur 3 Prozent Fett‘ etwa regt weniger zum Kauf an als eine, die ‚97 Prozent
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fettfrei‘ ist.“ Ohne dies zu merken: Da liegt der Clou, der heiße Kern dieses Denkens. Der
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Mensch der Framing-Forschung ist eine bewusstlose Beute solcher Rahmungen oder
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Stimmungsmarker, er ist abhängig von Sprachbildern, er wägt nicht ab, sondern er reagiert, er
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antwortet auf Reize, nicht auf Fakten und Argumente.
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Dahinter stecken krude kognitionswissenschaftliche und linguistische Modelle, die allesamt
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auf eine Naturalisierung des menschlichen Geistes hinauslaufen, als sei dieser in
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physiologischen Reaktionsmustern gefangen. Da wird Gehirnforschung bemüht, da werden
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statistische Erhebungen und Befragungen durchgeführt, die immer das beweisen, was schon
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vorausgesetzt war. Wenn es um das Denken geht, ist vorzugsweise die Rede von „Gehirn“.
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Das zweite Argument lautet, dass es gar nicht möglich sei, nicht zu framen. Es wird auch von
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Verteidigern des ARD-Papiers wie Stefan Niggemeier vorgebracht, die sich womöglich
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Wehlings kognitionspsychologische Voraussetzungen sonst gar nicht zu eigen machen. Jede
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Weltwahrnehmung, jedes Sprechen könne immer nur einen bestimmten Aspekt der Welt
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aufgreifen, isolierte Fakten gebe es ohnehin nicht, alles sei von Voraussetzungen abhängig
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und nur in Kontexten verständlich.
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Dies ist nun einerseits unbestreitbar. Doch schon die Feststellung, dass es unmöglich sei, nicht
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zu framen, tritt einen Schritt zurück und beschreibt den Mechanismus von außen, übrigens
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selbst auf metaphorische Weise. Warum sollte es unmöglich sein, die Beeinflussbarkeit
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eigener Wahrnehmungen und Entscheidungen von Frames zu reflektieren? Die Framing-
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Forscherin, die das behauptet und mit Befragungen untermauert, muss solche Abhängigkeit
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ja wohl bemerkt haben. Wenn angeblich „jedes“ Verarbeiten von Fakten in Frames stattfindet,
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dann lässt sich doch immerhin feststellen, dass diese im Plural stehen, sich also wechseln
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lassen. Sonst wäre ein Framing-Manual ja auch überflüssig. [...]
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Nun belehrt schon die Alltagsbeobachtung im politischen Streit gerade dieser Jahre, dass
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Framing kein Schicksal ist. Die Leute wussten ja, was sie sagten, als sie sich über eine
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„Zwangsgebühr“ aufregten und den vorübergehend ins Spiel gebrachten Ausdruck
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„Demokratie-Abgabe“ verhöhnten. Aktuelles politisch unkorrektes Sprechen lebt sogar
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besonders stark vom Re- oder Umframen anders gemeinter Sprechweisen. „Fachkräfte“ ist in
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Teilen eines bösartigen Diskurses längst zum Synonym für nicht ausgebildete
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„Wirtschaftsflüchtlinge“ oder gar für „Vergewaltiger“ geworden. Gerade peinlich vermiedene
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Ausdrücke lugen unter ihren Ersatzwörtern besonders hartnäckig hervor. Der Ausdruck
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bestimmt in solchen Fällen eben nicht das Denken, und das war schon immer so.
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Sklavensprache ist eine Überanpassung, die das Gegenteil meint, nämlich den Aufstand.
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Die Freiheit gegenüber der Sprache, die Dichtung und Literatur lehren, das poetische Spiel
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mit Metaphern, die sich wechseln und gegeneinander stellen lassen, ist nur die
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höchstentwickelte Form von Möglichkeiten, die im Sprechen und Verstehen schon immer
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geläufig waren. Poesie ist, so lautet eine grundlegende Einsicht, Entautomatisierung von
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Sprache; sie wendet die Aufmerksamkeit auf die Instrumente der Weltwahrnehmung und des
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sozialen Umgangs, mit dem Ziel, beides zu beleben: den Blick auf die Welt und die
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Möglichkeiten, sich in ihr zu bewegen. So bedeutet sie einen elementaren Einspruch gegen
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die Behauptung von der Unausweichlichkeit sprachlicher Vorgaben jeder Art.
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Doch peinlicher noch als die Selbstwidersprüchlichkeiten des Framing-Denkens ist ein anderer
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Aspekt. Es teilt die Menschen nämlich in unterschiedliche Klassen ein, in die, die das Framen
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aktiv und bewusst betreiben, sprachliche Vorgaben untersuchen und setzen, und in die
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anderen, die sich angeblich „ohne dies zu merken“ bei ihren Entscheidungen von vorrationalen
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Frames leiten lassen. Es soll also Grade des Wissens geben: eine kleine Gruppe von
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Wissenden, die Sozial- und Gefühlstechnologie betreiben, und eine bestenfalls halbbewusst
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dämmernde Masse, die davon bestimmt wird. Damit wird Politik zu Propaganda, zur
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Werbeindustrie oder zum permanenten Wahlkampf, oder sie wird zur Beute der Ängste, der
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Wut und des Hasses.
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Dass es dies als Tendenz gibt, dass Spindoktoren und Wahlkampfmanager, Produktdesigner
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und Kommunikationsberater oft so denken und sich danach ausrichten, ist nicht zu bestreiten.
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Doch was bedeutet es für eine Demokratie und vor allem für ein Medienunternehmen, sich
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dies programmatisch zu eigen zu machen, und zwar auf so plumpe und menschenverachtende
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Weise? Wenn man diese Theorien ernst nimmt und zu Ende denkt, laufen sie auf die Leugnung
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der staatsbürgerlichen Gleichheit und damit der republikanischen Verfassung hinaus.
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Es gehört zu den oft erörterten welthistorischen Grundtatsachen, dass bei den Griechen die
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demokratische Polis gleichzeitig mit dem Theater und der Rhetorik entstand. Das Theater
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führte den Kampf entgegenstehender Positionen modellhaft vor, die Rhetorik war die
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Wissenschaft von den Mitteln solchen Streits. Beides versorgte das Leben in der Polis mit der
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Selbstreflexion, ohne die gewaltfreie Politik nicht möglich ist. Wenn es einen Auftrag öffentlich-
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rechtlicher Medien gibt, dann liegt er in der Nachfolge dieser Errungenschaften.
Anmerkungen zum Autor:
Gustav Seibt (* 1959) ist Literaturkritiker, Essayist und Historiker. Aus: Seibt, Gustav: Sire, geben Sie Begriffsfreiheit! In: Süddeutsche Zeitung (23./24.02.2019), S. 17. (Sprachliche Fehler in der Textvorlage wurden entsprechend der geltenden Norm korrigiert.)
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Einleitung
- Gustav Seibts essayistischer Text mit dem Titel Sire, geben Sie Begriffsfreiheit! aus dem Jahr 2019 untersucht die Kraft der Sprache und die Framing-Theorie, also die Art und Weise, wie Informationen präsentiert und strukturiert werden, um eine bestimmte Interpretation oder Reaktion beim Empfänger zu erzeugen.
- Der Autor setzt sich kritisch mit der möglichen manipulativen Wirkung von Framing auseinander und plädiert für eine bewusste, freie Nutzung von Sprache, wie sie insbesondere in der Literatur zu finden ist.
Hauptteil
Inhaltliche Analyse- Der Text beginnt mit der Beschreibung verschiedener Metaphern und deren Quellen, um die Kreativität und den überraschenden Effekt von Metaphern zu verdeutlichen (Vgl. Z. 1-11).
- Im nächsten Abschnitt geht es darum, warum wir uns mit Dichtung und Literatur beschäftigen. Es wird argumentiert, dass Dichtung und Literatur dafür sorgen, eine gewisse Distanz und „Freiheit von der [alltäglichen] Sprache“ (V. 13) zu gewinnen (Vgl. Z. 12 f.). Sie ermöglichen es uns, zu neuen Einsichten und Erkenntnissen zu kommen, die durch kreative und unkonventionelle Ausdrucksformen vermittelt werden (Vgl. Z. 13-15).
- Anschließend stellt der Autor den Begriff des Framings vor, erläutert dessen Verwendung im Kontext des ARD-Diskussionspapiers und zeigt, wie durch bestimmte sprachliche Rahmungen, Weltansichten beeinflusst werden sollen (Vgl. Z. 16 ff.). Die ARD ließ ein Diskussionspapier erstellen, das erklärt, wie sie durch Sprachregelungen die Öffentlichkeit beeinflussen kann (Vgl. Z. 16 ff.). Es geht z. B. darum, die Wahrnehmung der Gebührenzahler positiv zu beeinflussen und sie als Mitgestalter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darzustellen, im Gegensatz zu „medienkapitalistischen Heuschrecken“ (Z. 25), womit Privatsender wie RTL oder VOX gemeint sind.
- Seibt problematisiert die Framing-Theorie, die davon ausgeht, dass Menschen unbewusst und automatisch auf solche sprachlichen Frames reagieren (Vgl. Z. 29-44). Er widerlegt diese Annahme, indem er darauf hinweist, dass es trotz der unvermeidlichen sprachlichen „Rahmen“ (Z. 18) möglich ist, über die Beeinflussung durch Frames nachzudenken und sie bewusst zu reflektieren (Vgl. Z. 45 ff.).
- Um zu zeigen, dass Framing nicht schicksalhaft ist und Menschen durchaus in der Lage sind, die manipulativen Versuche zu erkennen und sich dagegen zu wehren, führt er einige Beispiele an (Vgl. Z. 71-80). An dieser Stelle beschreibt Seibt z. B. auch, wie der Begriff „Fachkräfte“ (Z. 75) in Teilen eines rechtspopulistischen Diskurses „zum Synonym für nicht ausgebildete Wirtschaftsflüchtlinge oder gar Vergewaltiger“ (Z. 76 f.) umgedeutet wird.
- Im darauffolgenden Abschnitt bezieht sich Seibt auf die befreiende Kraft literarischer Sprache und die Möglichkeit, Sprache von den begrenzenden Frames zu lösen, die in der Framing-Theorie beschrieben werden. Die Poesie wird als „Entautomatisierung von Sprache“ (Z. 84 f.) verstanden. Das bedeutet, dass sie die Aufmerksamkeit auf die „Instrumente“ (Z. 85) lenkt, mit denen wir die Welt wahrnehmen und mit anderen interagieren. Ziel ist es, sowohl unseren Blick auf die Welt zu erweitern als auch unsere Fähigkeiten zur sozialen Interaktion zu bereichern (Vgl. Z. 85-88). Auf diese Weise stellt die Poesie einen „elementaren Einspruch“ (Z. 87) gegen die Vorstellung dar, dass sprachliche Vorgaben unausweichlich sind (Vgl. Z. 87 f.). Indem Seibt die möglichen Auswirkungen problematisiert, die die Framing-Theorie auf die Demokratie und das Menschenbild hat, kritisiert er auch die Anwendung der Theorie durch die ARD (Vgl. Z. 81-88).
- Gustav Seibt kritisiert die Framing-Theorie insbesondere dafür, dass das Framing-Denken die Gesellschaft in eine wissende Elite und eine unbewusste Masse einteilt (Vgl. Z. 89-97). Diese Unterteilung führt laut ihm zu einer Spaltung der Gesellschaft, weil sie die Annahme impliziert, dass nur „eine kleine Gruppe von Wissenden“ (Z. 93 f.) die Macht darstellt, das Denken der Mehrheit zu steuern.
- Der Autor sieht darin eine Tendenz zur Manipulation und Entmündigung der Bürger (Z. 89-103). Er erinnert an die demokratischen Ursprünge im antiken Griechenland und appelliert an die Medien, diesem Erbe gerecht zu werden (Vgl. Z. 104-109).
- Festzuhalten ist, dass Seibt in seinem Text Sire, geben sie Begriffsfreiheit!, die Framing-Theorie kritisch hinterfragt. Er lehnt die Vorstellung, dass Menschen unvermeidlich den manipulativen Frames unterworfen sind, ab. Weiterhin plädiert der Autor für einen bewussten und kreativen Umgang mit Sprache und sieht dies als Gegengewicht zur behavioristischen Manipulation.
- Zuletzt kritisiert er am Beispiel der ARD die Medien und die Politik für den entmündigenden Gebrauch von Framing und appelliert an die Leserschaft, die demokratischen Grundlagen zu verteidigen und das Menschenbild der Framing-Theorie nicht zu akzeptieren.
- Ungewöhnliche sprachliche Bilder und Metaphern, wie der Mond als „halbierte Aspirintablette“ (Z. 1) oder der Mund als „dunkelrotes Siegel auf einem Brief“ (Z. 5) verdeutlichen die kreative Kraft der Sprache.
- Die anaphorische Wiederholung von „Man kann“ (Z. 1-4) und die elliptische Exclamatio „Metaphern!“ (Z. 6) schaffen Nachdruck und Rhythmus und lenken, ebenfalls wie die oben erwähnten Metaphern, die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf den Inhalt des Textes.
- Seibt setzt ironische Bemerkungen und eine spöttische Grundtonalität (Vgl. Z. 29-35, Z. 71-74) ein, um sich von der Gegenposition zu distanzieren und diese abzuwerten. Auch seine im Text verwendeten Konjunktive (z. B. „Nun könnte man sagen“, Z. 36), klar negativ konnotierte Begriffe (z. B. „Selbstwidersprüchlichkeiten“, Z. 89; „Spindoktoren“, Z. 98) und Modalverbkonstruktionen (z. B. „Warum sollte es unmöglich sein“, Z. 65) erfüllen diese Funktion.
- Die Ironie wird auch dann deutlich, wenn Seibt die Framing-Theorie als „schrill“ (Z. 38) bezeichnet, um seine Kritik am Framing deutlich zu machen. Mittels Gewaltmetaphorik (z. B. „Sprachmanöver“, Z. 29; „Sklavensprache [...] Aufstand“, Z. 80), Antithesen (z. B. Vgl. Z. 75-77, 90-93) und Depersonalisierung (z. B. Vgl. Z. 48 f., 93 f.) macht der Autor die Gegensätzlichkeit zwischen der wissenden und unwissenden Gesellschaftsgruppe auch auf formaler Ebene in seinem Text deutlich.
- Rhetorische Fragen (z. B. "Warum sollte es unmöglich sein, [...]?" (Z. 65) sowie Seibts kohärente Linie in seiner Argumentation, die er durch Behauptungen und Beispiele untermauert (Vgl. z. B. Z. 1-10), dienen dazu, seine Argumentation zu strukturieren.
- Der Gebrauch von Bildungssprache und Fachvokabular wie z. B. „Poesie ist, so lautet eine grundlegende Einsicht, Entautomatisierung von Sprache“ (Z. 84 f.) zeigt die literarisch-geisteswissenschaftliche Expertise des Autors, die Abgrenzung von behavioristischen Sichtweisen und erhöht seine Legitimation und Glaubwürdigkeit als Autor.
- Intertextuelle Bezüge zu bspw. Friedrich Schillers Don Karlos (Überschrift) und die griechische Antike (Vgl. Z. 104–109) verankern den Text in einem größeren kulturellen und historischen Kontext.
Fazit
- Es wird deutlich, dass der Autor Gustav Seibt in seinem Essay einen bewussten Umgang mit Sprache fordert, der über die von der Framing-Theorie beschriebenen manipulativen Mechanismen hinausgeht. Dabei verweist er eindringlich auf die demokratischen Ursprünge und die Bedeutung einer aufgeklärten Öffentlichkeit und appelliert an die Verantwortung der Medien und der politischen Akteure, die Bürger*innen zu einem reflektierten Sprachgebrauch anzuregen.
- Der Autor regt seine Leserschaft durch anschauliche Beispiele, die kreative Nutzung sprachlicher Bilder und die Verortung in einem breiteren kulturellen Zusammenhang dazu an, über ihre eigene Sprachverwendung nachzudenken.
Teilaufgabe 2
Einleitung
- Gustav Seibt stellt in seinem Essay „Sire, geben Sie Begriffsfreiheit!“ die Theorie des Framings als manipulative Praxis infrage und lehnt deren Anwendung in den Medien entschieden ab. Er nimmt eine vielschichtige Position ein und beleuchtet die problematischen Aspekte des Framings, insbesondere in Bezug auf öffentliche Meinungsbildung, auf die im weiteren Verlauf näher eingegangen wird.
Hauptteil
Seibts Position zum Framing als Element öffentlicher Meinungsbildung in den Medien- Seibt widerspricht der Annahme, dass Framing unvermeidlich sei. Er argumentiert, dass Menschen trotz der allgegenwärtigen sprachlichen Frames, in der Lage sind, diese zu reflektieren und sich ihrer Einflussnahme bewusst zu werden. Durch die bewusste Auseinandersetzung mit Literatur und Poesie kann man lernen, sprachliche Frames zu erkennen und zu durchbrechen.
- Außerdem kritisiert er die Medien und die Politik für den bewussten und manipulativen Einsatz von Framing, der darauf abzielt, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Er sieht darin eine Gefahr für die Demokratie, da diese Praxis die Bürger*innen entmündigt und eine Kluft zwischen einer kleinen, wissenden Elite und der unbewussten Masse schafft. Laut Seibt führt dies zu einer Spaltung der Gesellschaft und untergräbt die demokratischen Prinzipien der Gleichheit und des offenen Diskurses.
- Anstatt manipulative Techniken anzuwenden, sollte man die Bürger dabei unterstützen, sich bewusst und reflektiert mit den Informationen auseinanderzusetzen. Dies sei auch im Sinne der demokratischen Traditionen der antiken griechischen Polis. Dort dienten Rhetorik und Theater als Mittel der politischen Bildung und Selbstreflexion.
- Seibts Argument, dass Menschen in der Lage sind, Frames zu durchschauen und zu hinterfragen, hebt die menschliche Fähigkeit zur Reflexion hervor. Diese Fähigkeit ist entscheidend für eine aufgeklärte Gesellschaft und stärkt die demokratischen Prozesse.
- Auch der Appell an die medienethische Verantwortung ist berechtigt. Einige Medien könnten dazu neigen, Frames zu verwenden, um eine bestimmte politische Agenda zu fördern, anstatt eine unvoreingenommene und transparente Berichterstattung anzubieten. Dies könnte die öffentliche Meinung lenken und die demokratischen Prozesse gefährden, indem wichtige Informationen verzerrt oder verschleiert werden.
- Außerdem lässt sich auch der Kritik an der Spaltung der Gesellschaft durch manipulative Framing-Techniken zustimmen. In einer Demokratie sollten alle Bürger die Möglichkeit haben, gleichberechtigt am öffentlichen Diskurs teilzunehmen, ohne von einer wissenden Gruppe der Gesellschaft bevormundet zu werden.
- Im Hinblick auf die Unvermeidlichkeit von Framing lässt sich argumentieren, dass während einige Menschen Framing erkennen können, viele andere es nicht tun. Doch selbst wenn Frames erkannt werden, können sie immer noch wirksam sein. Insbesondere in politischen Debatten kann Framing oft subtil sein und von vielen Menschen unbemerkt bleiben.
- Seibt geht wenig auf die Möglichkeit ein, dass Framing auch positive pädagogische und gesellschaftliche Effekte haben kann. Es kann genutzt werden, um komplexe Sachverhalte verständlicher zu machen und gesellschaftliche Werte zu vermitteln, z. B. im Kontext von politischer Bildung an Schulen.
- Indem der Autor nur die manipulativen Aspekte des Framings betont und die möglichen positiven Funktionen des Framings ignoriert, wird die Framingtheorie vereinfacht und verzerrt dargestellt.
Schluss
- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Seibts Argumentation wichtige Aspekte des Framings beleuchtet und eine kritische Perspektive aufzeigt. Seine Betonung der menschlichen Fähigkeit zur Reflexion und sein Appell an die medienethische Verantwortung sind entscheidend für eine aufgeklärte Gesellschaft. Die Kritik an der Spaltung der Gesellschaft durch manipulative Framing-Techniken unterstreicht die Bedeutung eines offenen und fairen öffentlichen Diskurses.
- Auf der anderen Seite lässt sich argumentieren, dass Framing nicht vollständig vermieden werden kann und dass es auch positive Folgen nach sich ziehen könnte. Eine differenziertere Betrachtung, die sowohl die manipulativen als auch die potenziell hilfreichen Aspekte des Framings berücksichtigt, wäre an dieser Stelle wünschenswert gewesen.