Aufgabe 3
Interpretation eines Gedichtes mit weiterführendem Vergleich
Thema: Mascha Kaléko (* 1907 - † 1975): Kompliziertes Innenleben (1930), Auf einen Café-Tisch gekritzelt ... (1933) Aufgabenstellung:- Interpretiere das Gedicht Kompliziertes Innenleben. (ca. 60 %)
- Vergleiche die Darstellung und Gestaltung des Glücksanspruchs in den beiden Gedichten. (ca. 40 %)
1
Hinter jedem Abschied steht ein Warten.
2
Wenn dein Schritt verhallt ist, sehn ich mich.
3
Wenn du kommst, ist jeder Tag ein Garten.
4
- Aber wenn du fort bist, lieb ich dich...
5
Manchmal seh ich auf zu Sternmillionen.
6
Ob das Glück stets hinter Wolken liegt?
7
Ach, ich möchte in den Nächten wohnen,
8
Wo kein „morgen“ um die Ecke biegt.
9
Kommst du, sehn ich mich nach tausend Dingen,
10
Wächst der Abgrund zwischen dir und mir,
11
Spür ich altes Fernweh in mir klingen.
12
- Aber wenn du fort bist, gilt es dir.
13
Unser Schicksal lauert hinter Bergen.
14
Schönes Jenseits, das wir nicht verstehn.
15
Unsre Großen gleichen noch den Zwergen,
16
Und nichts bleibt uns als emporzusehn.
17
Gibt es Träume, die noch nicht zerrissen,
18
Gibts ein Glück, das hielt, was es versprach?
19
Ach, wir Dummen werdens niemals wissen.
20
Und die Klugen forschen nicht danach ...
Aus: Kaleko, Mascha: Kompliziertes Innenleben. In: Liebesgedichte. dtv München 2015, S. 55 - 56. Material 2 Auf einen Café-Tisch gekritzelt...
1
Ich bin das lange Warten nicht gewohnt,
2
Ich habe immer andre warten lassen.
3
Nun hock ich zwischen leeren Kaffeetassen
4
Und frage mich, ob sich dies alles lohnt.
5
Es ist so anders als in früheren Tagen.
6
Wir spüren beide stumm: das ist der Rest.
7
Frag doch nicht so. - Es lässt sich vieles sagen,
8
Was sich im Grunde doch nicht sagen lässt.
9
Halbeins. So spät! Die Gäste sind zu zählen.
10
Ich packe meinen Optimismus ein.
11
In dieser Stadt mit vier Millionen Seelen
12
Scheint eine Seele ziemlich rar zu sein.
Anmerkung zur Autorin:
Mascha Kaléko ist deutschsprachige Dichterin. Aus: Kaléko, Mascha: Auf einen Café-Tisch gekritzelt. In: Liebesgedichte. dtv München 2015, S. 64.
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Einleitung
- Das Gedicht Kompliziertes Innenleben wurde von der Autorin Mascha Kaléko geschrieben.
- In ihrem Werk wird das unerfüllte Sehnen des lyrischen Ichs nach Glück und Nähe, das durch die ständige Abwesenheit einer geliebten Person gekennzeichnet ist, beschrieben. Das lyrische Ich im Gedicht reflektiert das ambivalente Erleben von Nähe und Distanz sowie die Unmöglichkeit, vollkommenes Glück zu erreichen.
Hauptteil
Formale Analyse- Das Gedicht besteht aus fünf Strophen mit jeweils vier Versen und ist im Kreuzreim verfasst. Darüber hinaus gibt es kein festes Versmaß, was dem Gedicht eine freie und fließende Form verleiht und die Emotionalität und Spontaneität der Gedanken des lyrischen Ichs unterstreicht.
- Die Sprache ist schlicht und klar, was die unmittelbare Verständlichkeit der Emotionen unterstützt. Der Ton ist sowohl nachdenklich als auch melancholisch.
- Rhetorische Fragen wie „Ob das Glück stets hinter Wolken liegt?“ (V. 6) betonen die Unsicherheit des lyrischen Ichs und die Unerreichbarkeit des Glücks.
- Durch die Personifikation „Unser Schicksal lauert hinter Bergen.“ (V. 13) wird das „Schicksal“ (V. 13) als etwas Lebendiges dargestellt. Die Beschreibung suggeriert, dass es weit entfernt und unerreichbar ist. Dies verstärkt das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit des lyrischen Ichs, da das Schicksal außerhalb seiner Kontrolle liegt und es keinen direkten Einfluss darauf nehmen kann.
- Die Wiederholung „Aber wenn du fort“ (V. 4, 12) betont die zentrale Bedeutung der Abwesenheit des Geliebten und die damit verbundenen Gefühle.
- Der „Tag“ (V. 3) der Wiederkunft des Geliebten wird metaphorisch mit einem „Garten“ (V, 3) verglichen („Wenn du kommst, ist jeder Tag ein Garten.“, V. 3), was für Freude und Schönheit steht.
- Die verwendeten Antithesen („Wenn du kommst, ist jeder Tag ein Garten. / – Aber wenn du fort bist, lieb ich dich ...“, V. 3 f.; „Kommst du, sehn ich mich nach tausend Dingen, / Wächst der Abgrund zwischen dir und mir“, V. 9 f.) beschreiben die Gefühle des lyrischen Ichs bei An- und Abwesenheit des Geliebten.
- Die anaphorische Struktur („Gibt es Träume, die noch nicht zerrissen, / Gibts ein Glück, das hielt, was es versprach?“, V. 17 f.) vermittelt eine resignative Haltung, die die melancholische Stimmung des Gedichts und die Aussichtslosigkeit der Suche nach unzerstörten Träumen und verlässlichem Glück verstärkt.
- Das Gedicht ist außerdem reich an Symbolik. Die „Sterne“ (Vgl. V. 5) symbolisieren Hoffnung, Träume, aber auch das Unerreichbare. Die „Wolken“ (V. 6) stehen für das Verborgene und die „Berge“ (V. 13) für die Herausforderungen und das Unbekannte im Leben des lyrischen Ichs.
- In der ersten Strophe des Gedichts beschreibt lyrische Ich die Wechselhaftigkeit der Gefühle in einer Beziehung. Jeder Abschied bringt eine Zeit des Wartens mit sich und wenn der Geliebte weg ist, wächst die Sehnsucht (Vgl. V. 1-2). Kommt der Geliebte zurück, erscheint jeder Tag wie ein „Garten“ (V. 3), ein Sinnbild für Freude und Glück. Doch auch in der Abwesenheit des Geliebten wird die Liebe als stark empfunden (Vgl. V. 4).
- Die zweite Strophe drückt die Sehnsucht nach einem idealen, sorgenfreien Zustand aus. Das lyrische Ich schaut oft in den Nachthimmel und fragt sich, ob das Glück immer unerreichbar hinter Wolken verborgen bleibt (Vgl. V. 5 f.). Es wird der Wunsch nach einer Zeit ohne die Sorgen und Ungewissheiten des nächsten Tages ausgedrückt. Das lyrische Ich verlangt nach einem Zustand des ewigen Jetzt und wünscht sich, dass die Gegenwart nicht durch die Zukunft belastet wird (Vgl. V. 7 f.).
- In der dritten Strophe wird die Ambivalenz der Gefühle des lyrischen Ichs deutlich. Die Anwesenheit des Geliebten weckt viele Wünsche und Bedürfnisse, aber auch die Distanz zwischen beiden wird spürbar (Vgl. 9 f.). Ein „altes Fernweh“ (V. 11) meldet sich, doch letztlich ist die Sehnsucht nach dem Geliebten stärker, selbst in dessen Abwesenheit (Vgl. V. 11 f.).
- In der darauffolgenden Strophe wird ein schönes, aber unverständliches „Jenseits“ (V. 14) angedeutet. Das Schicksal bleibt verborgen hinter fernen Bergen (Vgl. Z. 13). Selbst die größten Hoffnungen wirken klein und bedeutungslos (Vgl. Z. 15). Alles, was bleibt, ist der hoffnungsvolle Blick nach oben (Vgl. Z. 16), vermutlich zu den Sternen, als Symbol für unerfüllte Träume und Sehnsüchte.
- Die letzte Strophe stellt tiefgründige Fragen nach unzerstörten Träumen und erfülltem Glück (Vgl. Z. 17 f.). Das lyrische Ich zweifelt daran, dass solche Dinge existieren und bezeichnet sich selbst und andere als dumm, weil sie nach diesen unerreichbaren Antworten suchen (Vgl. V. 19). Hingegen wissen „die Klugen“ (V. 20), dass diese Fragen unbeantwortet bleiben.
- Das lyrische Ich empfindet tiefes Sehnen und Warten bei der Abwesenheit des Du in der ersten und dritten Strophe. In der zweiten und vierten Strophe reflektiert das Ich über die ambivalenten Gefühle bei der Anwesenheit des Du (Freude) und der Abwesenheit (Schmerz und Sehnsucht). Das Gedicht schließt mit der Erkenntnis, dass das Glück möglicherweise ständig hinter unerreichbaren Barrieren verborgen bleibt.
- Die Intention des Gedichts besteht darin, die Kluft zwischen dem idealisierten Anspruch auf Glück und der menschlichen Unzulänglichkeit aufzuzeigen. Kaléko stellt die emotionalen Höhen und Tiefen einer Liebesbeziehung dar. Das Gedicht thematisiert das unstillbare Sehnen nach Glücklichsein, wobei das lyrische Ich zwischen ambivalenten Gefühlen reflektiert. Gleichzeitig vermittelt das Gedicht eine tiefere Reflexion über das menschliche Dasein, die Vergänglichkeit des Glücks und die ständige Suche nach Sinn und Beständigkeit in einer unvorhersehbaren Welt.
- Der Titel Kompliziertes Innenleben spiegelt die emotionale Komplexität des inneren Erlebens des lyrischen Ichs wider, das zwischen Sehnsucht und Resignation, Nähe und Distanz, Glück und Unvollkommenheit schwankt.
Fazit
- Das Gedicht thematisiert die Spannungen und Widersprüche in der Liebe. Es zeigt außerdem, wie das Streben nach Glück oft von Unsicherheit und unerfüllten Erwartungen begleitet wird. Die Fragen nach dem ultimativen Glück und der Beständigkeit von Träumen bleiben unbeantwortet und das lyrische Ich erkennt die Beschränktheit menschlichen Verstehens.
- Durch ihre bildreiche und emotionale Sprache verdeutlicht Kaléko die ewige Suche nach Glück und Stabilität in menschlichen Beziehungen und ermöglicht, die Komplexität der beschriebenen inneren Zustände angemessen zu vermitteln. Das Gedicht spiegelt auf anschauliche Weise die komplexe Gefühlswelt der Liebenden wider, was sowohl persönlich als auch universell nachvollziehbar ist.
Teilaufgabe 2
Einleitung
- Die beiden Gedichte von Mascha Kaléko Kompliziertes Innenleben und Auf einen Café-Tisch gekritzelt ... bieten unterschiedliche Perspektiven auf den Glücksanspruch, jedoch gibt es auch Gemeinsamkeiten in der Darstellung und Gestaltung. Im Folgenden werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf den Glücksanspruch näher analysiert.
Hauptteil
Gemeinsamkeiten- Form und Stimmung: Beide Gedichte verwenden die Ich-Form, wodurch die Emotionen und Gedanken der Sprecherin sehr persönlich und direkt wirken. Dies erzeugt eine intime Atmosphäre, in der Leser*innen die Gefühle der Sprecherin unmittelbar nachempfinden können.
- Unerreichbarkeit des Glücks: In beiden Gedichten ist die Sehnsucht nach Glück präsent, jedoch wird sie als unerreichbar dargestellt. In Kompliziertes Innenleben wird das Glück als etwas beschrieben, das hinter „Wolken“ (V. 6) oder „Bergen“ (V. 13) verborgen ist. In Auf einen Café-Tisch gekritzelt ... wird das Glück im Kontext des sozialen Umgangs in einer großen Stadt als selten empfunden.
- Reflexion: Beide Gedichte enthalten eine Reflexion über die Vergangenheit und die gegenwärtige Situation. In Kompliziertes Innenleben wird über die Erfahrungen und die Unerfüllbarkeit von Träumen nachgedacht, während in Auf einen Café-Tisch gekritzelt ... das lyrische Ich seine bisherigen Verhaltensweisen und die aktuelle Einsamkeit reflektiert.
- Stimmung und Ton: Das erste Gedicht von Kaléko hat eine melancholische und nachdenkliche Grundstimmung. Die Fragen nach Glück und Erfüllung sind von einer tiefen Skepsis und Resignation geprägt. Das lyrische Ich reflektiert die Unerreichbarkeit von Träumen und Glück, was eine allgemeine, fast philosophische Dimension hat. Das zweite Gedicht zeichnet sich durch seine eher nüchterne Stimmung aus. Das lyrische Ich befindet sich in einer konkreten Situation, in der es auf jemanden wartet (Vgl. V. 1 ff.) und dabei über die Leere und Sinnlosigkeit des Wartens nachdenkt. Der Glücksanspruch wird hier als etwas präsentiert, das im Alltag und in konkreten sozialen Interaktionen unerfüllt bleibt. Bereits der Titel Auf einen Café-Tisch gekritzelt ... weist auf diese spezifische räumliche Situierung hin.
- Abstrakt- vs. Konkretheit: In Kompliziertes Innenleben verwendet die Autorin viele Metaphern und Symbole (z. B. Sterne, Vgl. V. 5; „Wolken“, V. 6; „Berge“, V. 13), um die abstrakten Konzepte von Glück und Träumen darzustellen. Statt der Darstellung des Glücksanspruchs auf einer allgemeinen, existenziellen Ebene behandelt Kaléko im zweiten Gedicht den Glücksanspruch auch inhaltlich deutlich konkreter und alltäglicher in seiner Darstellung. Das Warten in einem Café und die „leeren Kaffeetassen“ (V. 3) sowie der bildhafte Ausdruck „Ich packe meinen Optimismus ein“ (V. 10) symbolisieren die Leere und Enttäuschung des Augenblicks.
- Form: Kompliziertes Innenleben hat einen regelmäßigen Reim und Rhythmus (Kreuzreim), was dem Gedicht eine gewisse Musikalität und Form verleiht. Auf einen Café-Tisch gekritzelt ... hingegen hat eine freiere Form und eine unregelmäßige Reimform (Wechsel zwischen Kreuz- und Paarreim), was das Gedicht weniger formell und mehr wie einen inneren Monolog erscheinen lässt.
Schluss
- Obwohl Kompliziertes Innenleben und Auf einen Café-Tisch gekritzelt... unterschiedliche Ansätze in der Darstellung des Glücksanspruchs verwenden, das eine abstrakt und philosophisch, das andere konkret und alltäglich, teilen sie gemeinsame Themen wie Resignation, unerfüllte Sehnsucht und Selbstreflexion.
- Beide Gedichte betonen die Schwierigkeit, wahres Glück zu finden und beinhalten eine bildreiche Sprache, um die tiefen emotionalen und existenziellen Fragen des lyrischen Ichs darzustellen.