Aufgabe 3
Analyse eines literarischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag
Thema: Heinrich Detering (* 1959): Rede zur Eröffnung der Debattenreihe DEUTSCH 3.0 Aufgabenstellung:- Analysiere den Auszug aus Heinrich Deterings Rede. (ca. 70 %)
- Nimm, unter Berücksichtigung von sprachpflegerischen Positionen, Stellung zu Deterings These, dass „überhaupt niemandem in unserem demokratischen Gemeinwesen, unserer [...] lebendigen Sprachgemeinschaft eine sprachpolizeiliche Autorität zukommt“. (ca. 30 %)
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Wenn der Vorsitzende einer Institution namens „Deutsche Akademie für Sprache und
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Dichtung“ an diesem Ort das Wort ergreift, dann gibt das zu Befürchtungen Anlass. Die
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Amtsbezeichnung könnte die Besorgnis erwecken, der Redner wolle in einem gewissermaßen
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standesgemäßen Kulturpessimismus grämlich den allgemeinen Sprachverfall des Deutschen
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beklagen und dagegen allerlei Ge- und Verbote fordern.
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Diese Sorge ist unbegründet: erstens weil glücklicherweise überhaupt niemandem in unserem
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demokratischen Gemeinwesen, unserer – und da bin ich schon bei meiner wichtigsten These –
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lebendigen Sprachgemeinschaft eine sprachpolizeiliche Autorität zukommt, und zweitens weil
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ich vom Germanistik-Studium bis in die Arbeiten der Akademie hinein so viel Respekt vor der
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zünftigen Linguistik gelernt habe, dass meine Ansichten über Sprachgebrauch und
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Sprachverfall jedenfalls sehr viel vorsichtiger geworden sind. Und außerdem bin ich ja auch
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nicht zu einer Enzyklika eingeladen, sondern zu einem „Impulsvortrag“. Also, nur einige
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vorläufige, um der Impulse willen manchmal auch polemisch pointierte Bemerkungen. [...]
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Der Magen der deutschen Sprache, das zeigt der auf breiter Datenbasis gründende, mit viel
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Scharfsinn erarbeitete Bericht mit beruhigender Überzeugungskraft, der Magen der deutschen
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Sprache hat gerade in den letzten hundert Jahren, die der Sprachbericht erfasst, erstaunlich viel
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verdaut. Und es ist dem Deutschen – um im Bilde zu bleiben – meistens sehr gut bekommen.
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Viel besser, als diejenigen argwöhnen, die bei jeder neuen Speise gleich vor Übelkeit, Brechreiz
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und Kollaps warnen. Nie war der Wortschatz unserer Sprache so umfangreich und differenziert
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wie heute, keineswegs haben die Merkmale einer bürokratischen Amtssprache überhand
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genommen, fremdsprachliche Wörter wie die viel beargwöhnten Anglizismen hat das
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Sprachsystem des Deutschen sich ebenso selbstbewusst einverleibt und angeeignet, wie es das
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in früheren Jahrhunderten mit dem Lateinischen und dem Französischen getan hat.
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Nun haben uns [...] auch wohlmeinende Kritiker beharrlich daran erinnert, dass Sprachsystem
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und Sprachgebrauch zwei grundsätzlich zu unterscheidende Bereiche bilden und dass die
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erfreuliche Stabilität des einen nicht automatisch einen Optimismus im Blick auf das andere
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begründen könne. Weil diese Mahnung unbedingt berechtigt ist, darum wird heute Abend die
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große Veranstaltungsreihe namens „DEUTSCH 3.0“ eröffnet. Weil der Wandel des
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Sprachgebrauchs uns tatsächlich alle angeht, nicht nur in der politischen, wirtschaftlichen,
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wissenschaftlichen und medialen Öffentlichkeit, sondern bis in unsere persönlichsten
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Lebensvollzüge hinein: darum muss über die Lage der deutschen Sprache als eines Systems
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hinaus weiter gefragt werden nach ihrem tatsächlichen Gebrauch in Gegenwart und nächster
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Zukunft. Wir wollen wissen, wohin die sprachliche Reise geht. Nach dem Sprachgebrauch in
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den neuen elektronischen Kommunikationsmedien also wird gefragt werden, nach dem
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Deutschen als einer Sprache der Wirtschaft und als einer Wissenschaftssprache und nach dem
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Verhältnis zwischen dem Deutschen und den Sprachen der nach Deutschland Eingewanderten
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und Einwandernden. [...]
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Meine Damen und Herren: Auch wenn Sprachsystem und Sprachgebrauch zwei verschiedene
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Dinge sind, so könnte die Einsicht in die Stabilität des ersteren uns doch an das Motto Johannes
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Pauls II. erinnern: „Habt keine Angst.“ Zum Beispiel vor einem von innen kommenden
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Sprachverfall, etwa in den diversen Erscheinungsformen dessen, was man verallgemeinernd
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Jugendsprache nennt. Die einfallsreichen Ausdrucksformen der Jugendsprache in den Kurz-
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und Kürzestformen von SMS und Twitter, in den diversen Umgangs- und Szenesprachen, in
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dialektähnlichen Formen wie dem türkisch-deutschen Kanak Sprak: wo Kulturpessimisten nur
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ein Abgleiten in ein Schrumpfdeutsch wahrnehmen, da ließe sich, tritt man nur ein paar Schritte
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zurück, auch eine „Kultur des Witzes“ erkennen – sehr anders in ihren Ausdrucksformen, aber
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oft keineswegs weniger geistreich und witzig als in den Moden von Spätaufklärung und
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Rokoko, für die diese Formel einmal geprägt worden ist. [...]
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Wieviel Angst vor der Überfremdung durch die Sprachen von, nehmen wir den Ausdruck ruhig
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versuchsweise auf, Armutsmigranten gilt eigentlich der Sprache und wieviel in Wahrheit nur
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der Armut? Das Französische als traditionelle Bildungssprache ist elegant, das Englisch-
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Amerikanische als ökonomische und politische Siegersprache ist schick, die Sprachen der
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ökonomischen Verlierer sind peinlich, werden allenfalls als Unterschicht-Phänomen
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wahrgenommen. Aber der Schritt vom Sprachpurismus zum ethnischen Sauberkeitsgebot ist
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manchmal schneller und leichter getan, als man denkt.
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Ich weiß, wir reden hier nicht vom kulturellen Austausch der Intellektuellen, sondern zuerst
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von den Konfliktzonen der Kindergärten und der Schulen, an denen der Sprachgebrauch oft
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wenig vom Reichtum des deutschen Wortschatzes bemerken lässt, der Weiterbildungsanstalten
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und der Arbeitsämter. Und wie könnte ich der Forderung widersprechen, dass Erwachsene und
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Kinder, die aus anderen Ländern und Sprachen in den deutschen Sprachraum gezogen sind, die
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deutsche Sprache erlernen und möglichst gut beherrschen sollen? Es ist ja einfach eine
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Forderung der praktischen Vernunft, eine Konsequenz der sozialen Erfahrung und notabene der
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elementaren Rechte von Freiheit und Teilhabe. Aber wenn die Mitschüler/innen von Türken
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Polen, Russen Lust bekommen, Türkisch, Polnisch, Russisch zu lernen, dann ist die praktische
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Förderung dieser Lust eine gute, eine grundvernünftige Tat nicht nur für den sozialen Frieden,
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sondern – daraufkommt es mir an – auch für die deutsche Kultur und Sprache. [...]
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Und natürlich weiß ich, dass die versöhnungsseligen Sonntagsappelle an Mehrsprachigkeit und
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Kulturaustausch vom gelebten Alltag manchmal so weit entfernt sind wie mein hier zu
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Demonstrationszwecken etwas aufgemöbelter Optimismus. Auch in Flensburg spricht nicht
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jeder Bürger Dänisch, auch in Saarbrücken ist die Einsprachigkeit verbreitet, auch in der
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Lausitz ist die Fremdenfeindlichkeit nicht ausgestorben. Und dass es in den deutschen
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Metropolen Stadtteile gibt, in denen vom Wunsch nach Austausch und gegenseitigem Lernen
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nur die Abschottung verfeindeter oder einander ignorierender Parallelgesellschaften geblieben
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ist: wer wollte das bestreiten? [...]
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„Lasst uns“, hat Goethe in den Maximen und Reflexionen notiert, „lasst uns doch vielseitig
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sein! Märkische Rübchen schmecken gut, am besten gemischt mit Kastanien, und diese beiden
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edlen Früchte wachsen weit auseinander.“
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Meine Damen und Herren: Nach dem Verhältnis von Kastanien und Rübchen, nach den besten
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Kombinationen beider und nach vielem mehr sollen die Veranstaltungen und Formate der heute
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eröffneten Reihe fragen. Und ein Blick auf das so umfangreiche wie klug komponierte
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Programm zeigt, dass bei der Suche nach neuen Rezepten ganz gewiss mehr als Kraut und
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Rüben herauskommen werden. Fachkundig und kritisch wird hier debattiert werden, über die
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deutsche Sprache in der Bildungspolitik, über Sprachmigration und Wissenschaftssprache, über
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Ökonomie und Internet, lernend und streitend, mit Neugier und kritischer Aufmerksamkeit,
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offen und ohne falsche Angst. Und was immer auch herauskommen wird – die Debatten und
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ihre Ergebnisse werden, da bin ich unverdrossen zuversichtlich, so lebendig und lebenskräftig
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sein, wie es unsere wunderbare Sprache schon seit Deutsch 1.0 gewesen ist.
Anmerkung zum Autor:
Heinrich Detering ist Professor für Neuere deutsche Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft und war zum Zeitpunkt der Rede Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Aus: Detering, Heinrich: Rede zur Eröffnung der Debattenreihe DEUTSCH 3.0. (03.08.2022).
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Einleitung
- Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine Rede zur Eröffnung der Debattenreihe DEUTSCH 3.0 am 29.01.2014 in Berlin. Autor und Sprecher der Rede ist der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering. Zum Zeitpunkt der Rede war er Präsident der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“.
- Detering kontrastiert verschiedene Aspekte der deutschen Sprache, wie Vielfalt, Entwicklung, Migration oder Bildungspolitik.
Hauptteil
Formale Analyse- Der verwendete Nominalstil, zahlreiche Autoritätsargumente sowie der Fachwortschatz des Autors erzeugen den wissenschaftlichen Charakter des Textes. Der durchgehende Nominalstil verleiht der Rede außerdem eine formelle und komplexe Struktur.
- Ebenfalls fällt der hypotaktische Satzbau der Rede auf (z. B. Vgl. Z. 19-23). Die geschickte Verschachtelung von Nebensätzen gestaltet den Redefluss interessant, wirkt überzeugend, erhöht damit die Aufmerksamkeit beim Zuhörer und verleiht dem Autor Glaubwürdigkeit.
- Der wechselnde Gebrauch der Ich- und Wir-Form initiiert einen Perspektivenwechsel und somit auch eine Einbindung der Leser*innen. Die Ich-Form (z. B. Vgl. Z. 7-12) sorgt für die persönliche Note der Rede. Die Wir-Form (z. B. Vgl. Z. 24-27) erzeugt hingegen eine größere Glaubwürdigkeit, betont jedoch auch die gemeinschaftliche Identität und Zugehörigkeit. Sprache hat eine wichtige Bedeutung in allen Bereichen unseres Lebens und verbindet uns als Sprachgemeinschaft.
- Der häufige Einsatz von Fremdwörtern (z. B. „Sprachpurismus“, Z. 54; „Sprachmigration“, Z. 83) verleiht dem Autor und seiner Rede die nötige Fachkenntnis und Glaubwürdigkeit. Zusätzlich wird dadurch das Vertrauen der Zuhörer*innen bzw. Leser*innen in die Autorität des Redners gestärkt. Außerdem sorgt der Fachwortschatz für den sachlichen Charakter der Rede. Ebenfalls arbeitet der Autor mit Neologismen, also Wortneuschöpfungen (z. B. „versöhnungsseligen“, Z. 67).
- Durch rhetorische Fragen (z. B. „Und wie könnte ich der Forderung widersprechen, dass Erwachsene und Kinder, die aus anderen Ländern und Sprachen in den deutschen Sprachraum gezogen sind, die deutsche Sprache erlernen und möglichst gut beherrschen sollen?“, Z. 59-61) wird die Aufmerksamkeit der Leser*innen erhöht und der Sprecher verstärkt seine Aussage.
- Metaphern (z. B. „Magen“, Z. 14) veranschaulichen Deterings Aussagen. In diesem Beispiel hat der „Magen der deutschen Sprache“ (Z. 14) in den letzten Jahrhunderten eine Menge an Veränderungen „verdaut“ (Z. 17).
- Mithilfe ironischer Begriffe (z. B. „Schrumpfdeutsch“, Z. 45) unterstützt Detering seine Argumente auf humorvolle und einprägsame Weise. In diesem Fall kritisiert er die sogenannten „Kulturpessimisten“ (Z. 44), die die heutigen sprachlichen Veränderungen negativ betrachten.
- Durch den Einsatz von Ellipsen (z. B. „erstens weil glücklicherweise überhaupt niemandem in unserem / demokratischen Gemeinwesen, unserer – und da bin ich schon bei meiner wichtigsten These – / lebendigen Sprachgemeinschaft eine sprachpolizeiliche Autorität zukommt“ (Z. 6 ff.) und sprachlichen Einschüben wird der mündliche Charakter der Rede gestärkt. Ellipsen bewirken außerdem, dass bestimmte Satzteile durch die Auslassung einzelner Wörter besonders hervorgehoben werden.
- Wiederholungen (z. B. „Meine Damen und Herren“, Z. 38 und Z. 78) verleihen der Rede ihre Struktur. Die Zuhörer*innen bzw. Leser*innen fühlen sich außerdem direkt angesprochen.
- Die verwendeten Vergleiche (z. B. „(...) in dialektähnlichen Formen wie dem türkisch-deutschen Kanak Sprak (...)“, Z. 43 f.) geben auf anschauliche Weise wie in diesem Textabschnitt Beispiele für sprachliche Ausdrucksformen wieder.
- In der Einleitung der Rede (Z. 1-3) legt der Autor seinen Gedankengang und einige Bemerkungen vorab dar. Zunächst weist er darauf hin, dass er in seiner anstehenden Rede nicht „den standesgemäßen Kulturpessimismus“ (Z. 4) thematisieren oder „den allgemeinen Sprachverfall des Deutschen beklagen und dagegen allerlei Ge- und Verbote fordern“ (Z. 4 f.) möchte. Laut seiner wichtigsten These soll es „in unserem demokratischen Gemeinwesen, unserer [...] lebendigen Sprachgemeinschaft [k]eine sprachpolizeiliche Autorität“ (Z. 6 ff.) geben, d.h. dass niemand das Recht haben soll, eine bestimmte Art des Schreibens und Sprechens zu kontrollieren. Des Weiteren distanziert sich Detering persönlich vom „Sprachverfall“ (Z. 11) des Deutschen (Vgl. Z. 10 f.). Er sieht die mögliche „Sorge“ (Z. 6) vor dem Verfall der deutschen Sprache „unbegründet“ (Z. 6).
- Seine zuvor propagierte These unterstützt er durch eine beispielhafte Darstellung des guten Zustandes der deutschen Sprache in der ersten Passage seines Hauptteils (Vgl. Z. 14-23).
- Statt der Angst vor einem „unbegründet[en]“ (Z. 6) Sprachverfall stellt er das Potenzial der Wandlungsfähigkeit deutscher Sprache (Vgl. Z. 15-23) in den Vordergrund seiner Argumentation und legt nahe, dass die deutsche Sprache heute so „umfangreich und differenziert“ (Z. 19) ist, wie sie noch nie zuvor war.
- Mit der Bezeichnung „‚Deutsch 3.0‘“ (Z. 28)möchte der Autor auf die Entwicklung der deutschen Sprache hinweisen. Die Entwicklungen führen zu Veränderungen im Sprachgebrauch und in der Sprachpraxis (Vgl. Z. 27-37). Sprachliche Veränderungen betreffen uns alle und reichen „bis in unsere persönlichsten Lebensvollzüge hinein“ (Z. 30 f.). Die „Debattenreihe“ diskutiert den Sprachgebrauch und seine eventuellen Auswirkungen auf das Sprachsystem: „darum muss über die Lage der deutschen Sprache als eines Systems hinaus weiter gefragt werden nach ihrem tatsächlichen Gebrauch in Gegenwart und nächster Zukunft.“ (Z. 31 ff.)
- Ebenfalls führt Detering eine Differenzierung zwischen den Begriffen „Sprachsystem und Sprachgebrauch“ (Z. 38) an und macht klar, dass die „Stabilität“ (Z. 39) des Sprachsystems der Grund dafür ist, keine Angst „vor einem von innen kommenden Sprachverfall“ (Z. 40 f.) zu haben. Mit dem angeführten Zitat Johannes Pauls II „‚Habt keine Angst.‘“ (Z. 40) möchte Detering seinem Publikum Mut machen, von der Angst vor einem möglichen Sprachverfall loszukommen und stattdessen an Vertrauen in das „Sprachsystem“ (Z. 38) zu gewinnen.
- Den gesellschaftlichen und sozialen Wandel, dem die Sprache unterliegt, erachtet Detering als positiv und sieht natürliche sprachliche Phänomene wie die „Jugendsprache“ (Z. 42) oder Sprachentlehnungen als Zeichen der sprachlichen Vielfalt und schätzt diese wert (Vgl. Z. 40 ff.). Die „Jugendsprache“ bezeichnet er als eine „‚Kultur des Witzes‘“ (Z. 46).
- Im nächsten Abschnitt setzt Detering die deutsche Sprache in den Kontext der Einwanderung und Migration. Er erörtert mögliche Gründe für die Angst vor „Überfremdung durch die Sprachen“ (Z. 49) im Zuge der Einwanderung, warnt dabei jedoch insbesondere vor Diskriminierung gegenüber anderen ethnischen Gruppen (Vgl. Z. 54).
- Des Weiteren betont er die Bedeutung der Mehrsprachigkeit und des kulturellen Austauschs (Vgl. Z. 61-66), aber auch die Wichtigkeit des Spracherwerbs für Einwanderer (Z. 59 f.). Dabei gesteht er sich jedoch die Diskrepanz zwischen einerseits der Aufforderung an „Mehrsprachigkeit und Kulturaustausch“ (Z. 67), andererseits der praktischen Umsetzung dieser in den Alltag (Vgl. Z. 67-68) ein. In der Praxis werden wir häufig mit Schwierigkeiten konfrontiert und sind nicht selten Zeuge oder Opfer von Fremdenfeindlichkeit innerhalb unserer Gesellschaft.
- Trotz dieser Probleme ruft Heinrich Detering seine Zuhörerschaft am Ende seiner Rede nochmals verstärkend zu sprachlicher und kultureller Vielfalt auf. Die zitierten Worte Goethes (Vgl. Z. 75 ff.) unterstreichen den mutmachenden und optimistischen Charakter seines Appells. Er regt dazu an, offen und kritisch zu debattieren, sich auszutauschen und sich neuen sprachlichen Herausforderungen neugierig und unverschlossen anzunehmen. (Vgl. Z. 82-85) Die „Debattenreihe“ kann dazu, so Detering, mit ihren Ergebnissen einen wichtigen Beitrag leisten (Vgl. Z. 85 f.).
Fazit
- Die Entwicklung von Sprache ist ein vielschichtiger und komplexer Prozess. Sprache ändert sich ständig und passt sich immer wieder aufs Neue den aktuellen Gegebenheiten, sozialen, technologischen, wirtschaftlichen, kulturellen Veränderungen sowie den Präferenzen und Bedürfnissen ihrer Sprecher an.
- Heinrich Detering glaubt an die Stabilität des Sprachsystems und macht deutlich, dass sprachliche Veränderungen nicht ausschließlich negativ bewertet werden sollten. Sprachentwicklungen können ungeahnte Chancen für ihre Sprachgesellschaft beinhalten, die wir nutzen sollten, da Sprache uns alle etwas angeht. Deshalb ruft Detering zum gesellschaftlichen Mitdenken sowie zur Teilhabe an sprachlichen Prozessen auf.
Teilaufgabe 2
Einleitung
- Die These, dass in unserer heutigen demokratischen Gesellschaft und lebendigen Sprachgemeinschaft niemandem eine sprachpolizeiliche Autorität zukommt, basiert auf den grundlegenden Prinzipien der demokratischen Teilhabe und der Meinungsfreiheit. Laut dem Autor soll es keine oberste Instanz geben, die Vorschriften erlässt, wie Menschen zu sprechen haben.
- Unsere lebendige und offene Sprachgemeinschaft ermöglicht es uns, eine Debatte zu führen, die sowohl zustimmende als auch ablehnende Positionen miteinschließt. Diese sollen im Folgenden näher erläutert werden.
Hauptteil
Zustimmung- Die Sorge vor einer möglichen Einschränkung der Meinungsfreiheit und der freien Rede, also die Zensur der Grundrechte eines jeden, ist nachvollziehbar. Solange die eigenen Meinungen und Gedanken andere und ihre Rechte und Freiheiten im kommunikativen Miteinander jedoch nicht schädigen, sollten diese Rechte garantiert werden.
- Sinn einer demokratischen Gesellschaft ist es im Normalfall nicht, Regeln zu etablieren, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht akzeptierend angenommen werden. Es können schnell Kontroversen entstehen, wenn die „sprachpolizeiliche Autorität“ (Z. 8) keine ausreichende Legitimation besitzt.
- Unsere Sprache unterliegt ständigen, dynamischen Prozessen und natürlichen Veränderungen. Sie entwickelt sich im Laufe der Zeit von selbst (Selbstregulierung). Wir Sprecher sollten auf die „Stabilität“ (Z. 39) unseres „Sprachsystem[s]“ (Z. 38) vertrauen. Mögliche Restriktionen könnten die enorme Vielfalt, Kreativität und Anpassungsfähigkeit unserer Sprache einschränken. Unsere Sprachgemeinschaft lebt von Austausch und Diskussion sowie Offenheit gegenüber sprachlichen Veränderungen (Vgl. 82 ff.).
- Außerdem können Veränderungen und Entwicklungen der Sprache oft auch zu einer effizienteren und damit verständlicheren Kommunikation führen, da sich unsere Sprache an die sich stetig ändernden Bedürfnisse von uns Sprechern anpasst.
- Eine „sprachpolizeiliche Autorität“ (Z. 8) könnte einen wichtigen Beitrag zur Wahrung kultureller Identität leisten. Sprache und kulturelle Identität einer Gemeinschaft sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Traditionelle sprachliche Eigenheiten bilden einen wichtigen Teil kultureller Identität und könnten durch eine Autorität vor einem möglichen Verfall bewahrt werden.
- Außerdem könnte einem Verfall der formalen Sprache an sich entgegengewirkt werden (z. B. der Lockerung von Grammatik- und Rechtschreibregeln). In unserer heutigen Zeit sind Abkürzungen, Jugendsprache, Slang und informelle Kommunikation im Allgemeinen stark verbreitet, wie auch Detering feststellt (Vgl. Z. 42 ff.). Der Autor sieht in diesen Entwicklungen jedoch Chancen für unsere Sprache (Vgl. Z. 44 ff.).
- Eine gewisse Normierung bzw. Standardisierung der Sprache könnte zu einem besseren Verständnis und zur Klarheit von Sprache (z. B. im Bereich Grammatik) beitragen und damit auch zu einer effektiveren Kommunikation führen. Die Gefahr möglicher Missverständnisse könnte verringert werden (z. B. Vermeidung diskriminierender Sprache, Rassismus oder Hate Speech). Geschlechtergerechte Sprache trägt bspw. auch zu einer inklusiveren Sprachkultur und Gesellschaft bei.
- Eine festgelegte Autorität könnte dabei helfen, angemessene Bildungsstandards festzulegen, den Anspruch an qualitativ hochwertige Sprachkenntnisse zu erhöhen und die Kommunikations- und Sprachfähigkeiten der Bürger*innen zu verbessern.
Schluss
- Es lässt sich schnell erkennen, dass es sich bei Deterings These um eine komplexe und umstrittene Frage nach der Bedeutung einer „sprachpolizeiliche[n] Autorität“ (Z. 8) handelt, die von unterschiedlichen Seiten beleuchtet werden muss.
- Die äußerst kontroversen Ansichten zu dieser Thematik machen deutlich, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einer angemessenen sprachlichen Regulierung sowie der Freiheit des Einzelnen stattfinden muss. Ein Kompromiss sind bspw. Leitlinien von Sprachakademien, die bestimmte Empfehlungen aussprechen, ohne die Kommunikation der Sprecher ständig kontrollieren zu müssen.
- Es bleibt jedoch festzuhalten, dass der Wunsch, die Sprache in ihrem traditionellen Zustand zu bewahren, sprachliche Normierungen zu etablieren und die Verwendung von Ausdrücken zu vermeiden, die als „fremd“ angesehen werden, immer mehr an Akzeptanz und Legitimation verliert und zunehmend mit dem natürlichen und wichtigen Entwicklungsprozess der Sprache konkurriert.