Aufgabe 4
Textbezogenes Schreiben: Analyse pragmatischer Texte
Thema: Alan Posener (* 1949): Die Sprache als Fahne (Auszug; 2021) Aufgabenstellung:- Analysiere den Auszug aus dem Text Die Sprache als Fahne von Alan Posener. Berücksichtige dabei den Gedankengang, die sprachlich-stilistische Gestaltung sowie die Intention des Textes.
- Nimm – ausgehend von deinen Analyseergebnissen und vor dem Hintergrund deiner Kenntnisse aus dem Unterricht – Stellung zu Alan Poseners Position.
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„Amerika, du hast es besser/Als unser Kontinent, das alte,/Hast keine verfallene
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Schlösser/Und keine Basalte.“ So reimte Deutschlands Dichterfürst 1827, und man
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muss feststellen: Goethe, du hattest es besser: Um den Reim auf „Basalte“ zu ermög-
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lichen, veränderte er einfach das Geschlecht des Worts „Kontinent“. Es ist auch gar
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nicht einsichtig, warum eine Landmasse weiblich oder männlich sein sollte und nicht
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sächlich. Wer – wie ich – als Zuwanderer die Geschlechter deutscher Wörter – „der“
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Mond, obwohl die romanischen Sprachen unseren Trabanten als weiblich ansehen,
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„die“ Sonne, obwohl es bei den Nachbarn umgekehrt ist – lernen musste, beneidet
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Goethe um seine Nonchalance. Heutige Deutschlehrer*innen und Korrektor*innen
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würden außerdem – wie mein Word-Korrekturprogramm – „keine verfallene Schlös-
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ser“ als Fehler ankreiden. Unsere Sprache war schon mal flexibler.
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Wie Sie bemerkt haben, verwende ich oben das Gendersternchen, um männliche, weib-
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liche und im Hinblick auf ihre sexuelle Identität – oder „Gender“ – diverse Menschen
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einzubeziehen. Früher habe ich auch das – inzwischen als unzureichend inklusiv ver-
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worfene – „Binnen-I“ verwendet. Aber – ich gebe es zu – nicht eigentlich aus edlen
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Gründen, sondern oft, um Reaktionäre zu ärgern. Oder um Fortschrittlichen zu signa-
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lisieren, dass ich selbst nicht reaktionär bin. Jedenfalls nicht im Hinblick auf die gesell-
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schaftliche Inklusion. Und hier liegt ein Problem. Sprache wird allzu oft nicht als Ver-
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ständigungsmittel benutzt, sondern als Fahne: Seht her, ich gehöre zu dieser oder jener
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Gruppe! […]
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Amerika hat es auch in Bezug auf das Gendern leichter. Es hat nicht die „verfallene
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Schlösser“ der deutschen Grammatik, als da sind „der, die, das“ (übrigens werden die
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Artikel immer in der Reihenfolge aufgelistet: nie alphabetisch: „das, der, die“). Männ-
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lich zuerst: der Mann, die Frau, das – offensichtlich geschlechtslose – Kind. Dank
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„the“ kann die englische Sprache relativ leicht inklusiv werden. Ein paar Berufsbe-
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zeichnungen müssen geändert werden […] und ansonsten verlagert sich das ganze Pro-
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blem auf die Pronomina. Und wer nicht, wie es manche tun, einfach abwechselnd „he“
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oder „she“ benutzen will, kann auf die längst auch in der Alltagssprache übliche Varia-
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ante zurückgreifen, „they“ als ein Gender-inklusives Pronomen auch in der Einzahl zu
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verwenden […].
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Deutschland, du hast es schlechter. Hast Basalte und das grammatische Geschlecht.
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Und nur deshalb Binnen-I, Gendersternchen oder Genderdoppelpunkt und den entspre-
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chenden Schluckauf-Laut, wenn frau versucht, einen gestirnten oder gepunkteten Text
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zu lesen. Und, was schlimmer ist, einen Glaubenskrieg um das „Gendern“. Manche
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Universitäten legen inzwischen Wert auf die konsequente Verwendung von genderge-
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chter Sprache in Studien- und Prüfungsarbeiten. […] Auf der anderen Seite mobili-
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lisieren reaktionäre Kräfte für ein Verbot des Genderns. […] Damit ist der Sprachge-
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brauch zu einem Element des „virtue signalling“ der Linken und zu einer Fahne im
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Kulturkampf der Rechten geworden.
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Und das Problem damit eigentlich unlösbar. Das Problem nämlich, wie sich eine über
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Jahrhunderte entwickelte und sich immer noch entwickelnde Sprache mit grammati-
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schem Geschlecht so weiterentwickeln kann, dass sie die neuen Sensibilitäten des
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21. Jahrhunderts im Hinblick auf das „natürliche“ (ich weiß, ich weiß) Geschlecht
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reflektiert. Es ist ein bisschen wie beim Klimawandel. Den gab es immer, aber jetzt
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passiert er so rasend, dass wir uns vor die Notwendigkeit gestellt sehen, unsere gesamte
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Energieerzeugung und -nutzung sehr plötzlich umzustellen. Es sind übrigens fast im-
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mer dieselben Kräfte, die einerseits den Klimawandel oder die Dringlichkeit des
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gesellschaftlichen Wandels nicht wahrhaben, andererseits das „Gendern“ (gern mit
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hartem „G“ ausgesprochen) verbieten wollen.
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Und es sind auf der anderen Seite oft dieselben Kräfte, die einerseits mit dem Hinweis
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auf den „Klimanotstand“ tatsächlich möglichst viel – Inlandsflüge, Pkw in den Innen-
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städten, Eigenheime auf der Wiese, Steaks auf dem Teller – verbieten wollen, anderer-
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seits verbissen jedes vergessene Gendersternchen, jeden unterlassenen Schluckauf,
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jede unüberlegte Verwendung von „man“ verfolgen, die eine akademische Arbeit etwa
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über Sternenstaub oder Bodenqualität nur dann gelten lassen wollen, wenn die Autorin
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einen Kotau vor dem Stammessprachfetisch macht.
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Frankreich hat es in den Augen der Reaktionären besser, weil die Académie française
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einfach das Gendern verboten hat, angeblich weil es die Klarheit und Verständlichkeit
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der französischen Sprache unterminiere. […]
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Das deutsche Pendant zur Académie française ist die Deutsche Akademie für Sprache
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und Dichtung. Schon bei Vorlage ihres Berichts zur Lage der deutschen Sprache 2017
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sah ihr Mitglied Peter Eisenberg in den amtlichen Vorschriften zur Verwendung gen-
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dergerechter Sprache, wie sie etwa in Berlin gelten, „sprachpolizeiliche Allüren“. Im
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Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Eisenberg: „Solche Eingriffe in die Sprache
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sind typisch für autoritäre Regimes, aber nicht für Demokratien.“ Für ihn bedeutet die
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Verwendung des Gendersternchens oder von Kunstbildungen wie „Geflüchtete“ statt
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„Flüchtling“ eine Vergewaltigung der Sprache. Die Politiker seien „gewählt worden,
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um den Willen ihrer Wähler zu verwirklichen. Und was machen sie als Erstes: Sie
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wollen die erziehen“.
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Hätte also die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung eine auch nur ähnliche
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Macht wie ihr Pendant in Paris, wäre es bald um die gendergerechte Sprache geschehen
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– jedenfalls in amtlichen Schriftstücken. Niemand könnte es einer Dichterin verweh-
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ren, sie dennoch zu benutzen. Da allerdings liegt die Häsin im Pfeffer: Gerade in amt-
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lichen Dokumenten stören der Genderstern und andere Versuche der Inklusion nicht
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wirklich; wir haben uns daran gewöhnt, dass solche Texte ohnehin schwer verständlich
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oder doch sehr umständlich sind. Dichter und Dichterinnen jedoch werden kaum von
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diesen sprachlichen Möglichkeiten oder Marotten Gebrauch machen.
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Die deutsche Sprache ist ohnehin dank ihrer Endungen äußerst silbenreich, was deut-
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sche Texte oft lang macht. In einem früheren Leben war ich hauptberuflicher Überset-
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zer, und bei der Übertragung englischer Texte ins Deutsche wurden sie um ein Viertel
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länger. Wolf Biermann schrieb über seine Nachdichtung der Sonette William Shake-
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speares: „Wie kriegt man einen breiten deutschen Hintern in die schmale englische
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Hose … Fünf Hebungen wie im Original sind zu wenig. Ich brauchte eigentlich Verse
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mit fast sieben Füßen, das entspräche in etwa dem quantitativen Unterschied der Spra-
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chen.“ (Übrigens nahm sich Biermann die Freiheit heraus, die ersten 77 Sonette, die
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nach Meinung der meisten Shakespeare-Expertinnen an einen jungen Mann gerichtet
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sind, an eine Frau zu richten. Er dürfe das, so Biermann, auch „weil das Englische so
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oft unklar ist in Bezug auf das Geschlecht …“)
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Wir wollen also – jenseits offizieller Dokumente – eine Sprache, die so „unklar in
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Bezug auf das Geschlecht“ und gleichzeitig so „schlank“ sei wie das Englische; jeden-
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falls wollen wir das, wenn wir uns nicht partout gegen jede Veränderung stemmen; ein
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Widerstand, der sich oft genug unter dem Deckmantel des Schutzes der Sprache in
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Wirklichkeit gegen die Sache wendet, die Gleichberechtigung und das Sichtbarwerden
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von Frauen, Schwulen, Lesben, queeren und trans Personen, und daher genauso „erzie-
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herisch“ und „sprachpolizeilich“ gemeint ist wie die von Eisenberg kritisierten Vor-
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schriften. Wenn die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt sind, wie Lud-
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wig Wittgenstein meinte, dann wollen Reaktionäre die Sprache eingrenzen, auf dass
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sich die Gedanken nicht entgrenzen. […]
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Die Aufgabe, eine zugleich elegante und inklusive Sprache zu entwickeln, bleibt.
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Einstweilen schadet es keiner und keinem, wenn in Verordnungen und Gesetzestexten
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das Gendersternchen und möglichst nur genderneutrale Formulierungen – „Lernende
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und Lehrende“ etwa statt „Schüler und Lehrer“ – benutzt werden. Den Gebrauch in
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akademischen und schulischen Arbeiten vorzuschreiben, geht allerdings zu weit. Ver-
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bote und Gebote schaffen kein Umdenken, sondern nur böses Blut.
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Die Weisheit der Menge wird Formulierungen finden, die jenseits von Stern und
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Schluckauf die Mängel der Sprache kompensieren; Dichter und Dichterinnen können
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dabei helfen. Und damit das Geschlecht, sollten Stern und Schluckauf als Stachel im
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Fleisch des Sprachkörpers bleiben. Sie werden aber, davon bin ich überzeugt, nicht das
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letzte Wort bleiben.
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Genau deshalb sollte sich aber der Kulturkampf wieder um die Sache selbst drehen,
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um die Rolle von Genderkonstruktionen und die Überwindung von Klischees in der
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Gesellschaft. Mein Enkelsohn ist kein halbes Jahr alt. Ich wäre froh, wenn er sich nicht
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wie ich mit Erwartungen an sein Männlichsein herumschlagen müsste, die aus einer
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anderen Welt stammen. Wie Ray Davies sang: „Boys will be girls and girls will be
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boys.“ Nur die Sprache dafür haben wir noch nicht. Kommt noch.
Anmerkungen zum Autor: Alan Posener ist ein britisch-deutscher Journalist und Autor. Aus: Alan Posener: Die Sprache als Fahne, Zeit Online, 03.06.2021.
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Einleitung
- Der vorliegende Textauszug Die Sprache als Fahne von Alan Posener aus dem Jahr 2021 thematisiert die evolutionäre Rolle der Sprache als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen und die damit verbundene Debatte um gendergerechte Sprache.
- Posener erläutert die Herausforderungen und Chancen des Sprachwandels im Deutschen im Vergleich zu anderen Sprachen, insbesondere Englisch und Französisch.
- In dieser Analyse wird sowohl die formale als auch die inhaltliche Gestaltung des Textes berücksichtigt. Es wird der Gedankengang und die Intention des Autors beleuchtet, um seine Perspektiven zur gendergerechten Sprache sowie die Bedeutung des Sprachwandels im Kontext sozialer Entwicklungen zu erfassen.
Hauptteil
Formale Analyse- Die Verwendung der Metapher „Fahne“ (Z. 19, 38) in der Überschrift und im Text verdeutlicht die Funktion der Sprache als Ausdruck von Identität und Zugehörigkeit. Diese bildhafte Sprache zieht die Leser*innen in den Diskurs hinein und illustriert die Dynamik des Themas.
- Posener bedient sich einer umgangssprachlichen und teils ironischen Ausdrucksweise (z. B. „wenn frau versucht“, Z. 33; „Häsin im Pfeffer“, 73), um eine Nähe zur Leserschaft zu schaffen und zugleich das komplexe Thema zugänglich zu machen.
- An mehreren Stellen spricht Posener die Leser*innen direkt an (z. B. Vgl. Z. 12, 14 f.). Dies fördert die Identifikation des Publikums mit den dargelegten Argumenten.
- Elliptische Syntax (Vgl. Z. 16-18) schafft eine informelle und zugängliche Atmosphäre. Die elliptische Schlussformulierung (Vgl. Z. 116) hinterlässt einen nachdrücklichen Eindruck und fordert zum weiteren Nachdenken auf.
- Persönliche Einblicke in der Form von Selbstoffenbarungen in der 1. Person Singular (Vgl. Z. 6, 12, 14 f., 17, 109, 113) verleihen dem Text Authentizität und erhöhen die Identifikation der Leser*innen mit dem Autor.
- Der Autor spricht stellenweise auch in der „Wir-Form“ (Vgl. Z. 90-92), um ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen und die Leser*innen aktiv zu involvieren.
- Durch die Personifikation „Die Weisheit der Menge“ (Z. 106) wird der Inhalt für die Leserschaft greifbarer und anschaulicher.
- Durch die Einnahme einer privaten Perspektive als Großvater (Vgl. Z. 113-115) wird Fürsorglichkeit und Erfahrung, die das Thema in einen menschlichen Kontext einbettet, vermittelt.
- Wortwiederholungen (z. B. Vgl. Z. 40, 41 f.) verstärken zentrale Aussagen und zeigen deren Bedeutung auf.
- Bildungssprachliche Formulierungen (Vgl. Z. 9, 56, 59, 71, 78) und Fachvokabular (Vgl. Z. 38) verleihen dem Text eine akademische Tiefe und Professionalität.
- Zu Beginn des Textes wird die Leserschaft in die Problematik des Sprachwandels und der gendergerechten Sprache eingeführt (Vgl. Z. 1-11). Der Autor thematisiert dabei die Entwicklung der deutschen Sprache und wie sie sich im Vergleich zu anderen Sprachen in Bezug auf das Genus verhält. Ein Zitat von Goethe (Vgl. Z. 1-6) wird herangezogen, um die frühere Flexibilität des Deutschen im Hinblick auf das Genus zu verdeutlichen. Dies legt den Grundstein für den Vergleich mit anderen Sprachen, besonders dem Englischen und den romanischen Sprachen (Vgl. Z. 6-9). Der Autor hebt hervor, dass in diesen Sprachen teilweise andere Mechanismen der Geschlechtsmarkierung existieren. Im Goethezitat wird zudem eine Kasus-Inkongruenz festgestellt, die das Argument der Flexibilität des Deutschen unterstützt (Vgl. Z. 9-11).
- Daraufhin bezieht der Autor Stellung zum Gendern. Er offenbart dabei seinen eigenen Sprachgebrauch und erklärt seine Motivation, gendergerechte Sprache zu verwenden. Dabei werden verschiedene Möglichkeiten des Genderns aufgezählt (Vgl. Z. 12-18), zum Beispiel das Verwenden von Gendersternchen oder neutrale Formen. Der Autor stellt dabei kritisch fest, dass Sprachgebrauch oft genutzt wird, um eine Zugehörigkeit zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zu signalisieren beziehungsweise sich bewusst abzugrenzen (Vgl. Z. 15 ff.).
- Später folgt der erste Vergleich zwischen der englischen und der deutschen Sprache. Der Autor hebt die Inklusivität des Englischen hervor, da der universale Artikel „the“ geschlechtsneutral ist (Vgl. Z. 21-25). Im Gegensatz dazu ist das Deutsche stark durch grammatisches Geschlecht gekennzeichnet, was die Genderinklusivität erschwert. Weiterhin wird das englische Pronomen „they“ als Beispiel für einen inklusiven Umgang mit Pronomen vorgestellt (Vgl. Z. 26-30), da es im Singular als geschlechtsneutrale Alternative verwendet werden kann. Dem gegenüber steht die Uneinheitlichkeit der deutschen gendergerechten Sprache (Vgl. Z. 31-34), die es schwierig macht, eine allgemein akzeptierte Lösung zu finden. Zudem wird auf den unterschiedlichen Sprachgebrauch und die damit verbundenen politischen Haltungen zum Gendern in Deutschland hingewiesen (Vgl. Z. 34-39). Hier wird deutlich, dass das Thema in Deutschland deutlich kontroverser diskutiert wird als im englischsprachigen Raum.
- Außerdem betont der Autor, dass Sprachwandel ein kontinuierlicher Prozess ist, der notwendig ist, um gesellschaftliche Veränderungen abzubilden. Der Vergleich mit dem Klimawandel (Vgl. Z. 44-46) verdeutlicht die Brisanz der aktuellen Debatte um die gendergerechte Sprache. In den Zeilen 46 bis 49 werden Parallelen zwischen Klimaleugnern und Gegnern des Genderns sowie zwischen Klimaaktivisten und Genderbefürwortern gezogen. Dabei wird die ideologische Verhärtung beider Seiten herausgestellt. Der Autor führt diese Diskussion bis zu den dogmatischen Tendenzen auf beiden Seiten weiter (Vgl. Z. 50-56) und macht deutlich, dass der Sprachwandel von der Gesellschaft akzeptiert werden muss, um weiter voranzuschreiten.
- Der Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland (Vgl. Z. 57-78) hebt die unterschiedlichen Herangehensweisen beider Länder an das Thema Gendern hervor. In Frankreich herrscht ein Genderverbot der Académie française (Vgl. Z. 57-59), während in Deutschland die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung unter der Führung von Eisenberg ebenfalls eine kritische Haltung gegenüber gendergerechter Sprache vertritt (Vgl. Z. 60-69). Der Autor führt an, dass gendergerechte Sprache die ohnehin schon schwer verständliche Amtssprache in Deutschland nicht verbessern würde (Vgl. Z. 70-72, 74-76). Dennoch wird betont, dass künstlerische Freiheit weiterhin bestehen bleibt und es unwahrscheinlich ist, dass Schriftsteller in ihren literarischen Werken gendern werden (Vgl. Z. 72 f., 76-78).
- Der zweite Vergleich zwischen dem Englischen und Deutschen (Vgl. Z. 79-99) zeigt die Unterschiede der beiden Sprachen in Bezug auf Silbenreichtum und Genderinklusivität. Am Beispiel von Biermanns Shakespeare-Übersetzungen (Vgl. Z. 79-89) wird die Genus-Uneindeutigkeit des Englischen hervorgehoben. Aus diesem Vergleich leitet der Autor die Wunschvorstellung ab, dass sich der Sprachwandel im Deutschen an der englischen Sprache orientieren könnte (Vgl. Z. 90-92). Ein Zitat von Wittgenstein (Vgl. Z. 93-99) wird herangezogen, um die Kritik an vermeintlichen Sprachschützern zu verdeutlichen. Diese lehnen laut dem Autor den Sprachwandel ab, da sie sich gegen den gesellschaftlichen Wandel stellen.
- In den letzten Zeilen (Vgl. Z. 100-116) wird die Forderung erhoben, die Sprache weiterzuentwickeln, um sie eleganter und inklusiver zu gestalten. Dies sei eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft (Vgl. Z. 100-105). Der Autor prophezeit, dass sich die Sprache langfristig selbst regulieren wird, und sieht die vorübergehende Nutzung der aktuellen Formen der gendergerechten Sprache als notwendig an (Vgl. Z. 106-110). Abschließend wird ein Appell formuliert, bestehende Klischees und Geschlechterrollen zu überwinden und diese Entwicklungen auch in der Kultur abzubilden (Vgl. Z. 111-116).
- Der Autor kritisiert dogmatische Einstellungen gegenüber dem Gendern und positioniert sich klar für die Verwendung geschlechtersensibler Sprache. Er plädiert für die vorübergehende Akzeptanz aktueller Formen gendergerechter Sprache und betont das Vertrauen in ihre Weiterentwicklung. Außerdem appelliert er an die Leserschaft, sich aktiv für gesellschaftliche Veränderungen einzusetzen, die Gleichstellung verschiedener Gruppen innerhalb der Gesellschaft zu fördern und Offenheit für weitere sprachliche Veränderungen zu zeigen. Er lehnt sprachliche Ge- und Verbote ab und fordert eine respektvolle und inklusive Herangehensweise an die Sprache.
Fazit
- Insgesamt beleuchtet der Text Die Sprache als Fahne umfassend die verschiedenen Aspekte des Sprachwandels im Hinblick auf gendergerechte Sprache und stellt dabei Vergleiche zwischen verschiedenen Sprachen sowie gesellschaftlichen Positionen her.
- Durch stilistische Mittel wie Metaphern, Ironie und direkte Leser*innenansprache gelingt es ihm, die Leserschaft für die Thematik zu gewinnen und zur Reflexion über die gesellschaftlichen Entwicklungen anzuregen, die in der Sprache ihren Ausdruck finden.
- Seine Intention, einen Diskurs über die Notwendigkeit des Sprachwandels zu initiieren, bleibt dabei klar ersichtlich: Posener fordert eine Offenheit gegenüber sprachlichen Veränderungen und appelliert an die Leserschaft, sich für eine progressive Sprachkultur einzusetzen.
Teilaufgabe 2
Überleitung
- Ausgehend von der Analyse von Alan Poseners Text Die Sprache als Fahne, in dem er eine differenzierte Haltung zum Sprachwandel und zur gendergerechten Sprache einnimmt, lässt sich die Diskussion um die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit dieser sprachlichen Veränderungen weiter vertiefen.
- Posener betont den fortwährenden Wandel der Sprache und hebt die Notwendigkeit hervor, die Sprache an gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen. Doch diese Position ist in der öffentlichen Debatte umstritten.
- In der folgenden Erörterung wird auf Poseners Position eingegangen und seine Argumentation sowohl aus einer befürwortenden als auch aus einer kritischen Perspektive beleuchtet. Dabei werden zentrale Aspekte der gendergerechten Sprache aufgegriffen und aus verschiedenen Blickwinkeln bewertet.
Hauptteil
Befürwortende Position zur gendergerechten Sprache- Ein wichtiges Argument, das Alan Posener in seinem Text betont, ist die Einsicht in die vorläufige Funktionalität der bisherigen Formen der gendergerechten Sprache, trotz ihrer Unzulänglichkeiten. Hier ist anzumerken, dass Sprachwandel ein Prozess ist, der nicht von heute auf morgen geschieht, sondern sich stetig entwickelt. Auch wenn die gegenwärtigen Formen – wie der Genderstern oder die Verwendung von Partizipien – nicht perfekt sind, so ermöglichen sie doch eine erste Annäherung an eine geschlechtergerechte Ausdrucksweise. Beispielsweise hat sich der Genderstern als praktikable Lösung etabliert, um nicht nur männliche und weibliche Personen zu inkludieren, sondern auch non-binäre Menschen sprachlich sichtbar zu machen. Die vorläufige Funktionalität dieser Formen zeigt sich in der Tatsache, dass sie immer mehr im öffentlichen und institutionellen Sprachgebrauch übernommen werden.
- Zudem lassen sich positive Erfahrungen aus dem Englischen heranziehen, um die Akzeptanz der gendergerechten Sprache zu unterstützen. Das englische Pronomen „they“, das inzwischen weit verbreitet im Singular als geschlechtsneutrale Alternative verwendet wird, zeigt, dass eine Sprache durchaus in der Lage ist, sich an gesellschaftliche Anforderungen anzupassen. Die Einführung von geschlechtsneutralen Pronomen hat im englischsprachigen Raum weit weniger Widerstand erfahren als in Deutschland, was zeigt, dass Sprachwandel mit einer breiten Akzeptanz möglich ist.
- Ein weiteres zentrales Argument für die gendergerechte Sprache ist ihre gesellschaftliche Notwendigkeit. Sprache formt unser Denken und prägt die Wahrnehmung von Wirklichkeit, wie verschiedene Sprachwandeltheorien nahelegen. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Sprache, Denken und Wirklichkeit. Die Art und Weise, wie wir über Geschlechter sprechen, beeinflusst unser Bild von Geschlechterrollen in der Gesellschaft. Gendergerechte Sprache kann daher dazu beitragen, Stereotype und festgefahrene Rollenbilder aufzubrechen. Dies entspricht auch Diewalds Ansatz, der die gendergerechte Sprache als ein notwendiges Instrument zur sprachlichen Abbildung gesellschaftlicher Realität begreift. Die Weiterentwicklung der Sprache hin zu mehr Sensibilität und Gerechtigkeit kann helfen, gesellschaftliche Ungleichheiten abzubauen.
- Zudem ist gendergerechte Sprache eine bewusste Form der Sprachverwendung und Teil der politischen Korrektheit. In einer zunehmend diversen Gesellschaft ist es wichtig, dass alle Bevölkerungsgruppen sprachlich repräsentiert werden. Der bewusste Einsatz von gendergerechter Sprache dient als Bindeglied zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und deren Sichtbarmachung. Es geht darum, die sprachliche Realität so zu gestalten, dass niemand ausgeschlossen wird. Diese Sensibilität im Umgang mit der Sprache könnte langfristig zu einer stärkeren gesellschaftlichen Inklusion führen.
- Trotz der positiven Argumente zur gendergerechten Sprache gibt es auch kritische Stimmen, die auf ihre problematischen Aspekte hinweisen. Ein häufig genanntes Argument ist die erhöhte Schwierigkeit der Verständlichkeit, die mit gendergerechter Sprache einhergeht. Gendersternchen, Glottisschläge oder Binnen-I's machen Texte schwerer lesbar und können dazu führen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen – ältere Menschen, Menschen mit geringer Sprachkompetenz oder Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen – ausgeschlossen werden. Diese phonetischen und strukturellen Herausforderungen könnten dazu führen, dass das Hauptziel der Sprache, nämlich die Verständigung, erschwert wird. Besonders im Deutschen, das durch seine komplexe Grammatik ohnehin schon schwierig zu erlernen ist, könnte dies problematisch sein.
- Eisenberg, der sich kritisch gegenüber der gendergerechten Sprache äußert, verweist auf die grammatikalischen Gesetzmäßigkeiten des Deutschen, die durch die Einführung neuer Genderformen verletzt würden. In dieser Hinsicht wäre es eher eine Sprachmanipulation als ein natürlicher Sprachwandel, wenn grammatische Strukturen künstlich verändert werden. Sprache entwickelt sich zwar kontinuierlich, doch die Einführung von neuen Formen auf der Grundlage politischer oder gesellschaftlicher Forderungen könnte als Eingriff in die natürliche Sprachentwicklung betrachtet werden.
- Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob gendergerechte Sprache tatsächlich die gesellschaftlichen Ziele erfüllen kann, die sie sich selbst setzt. Kritiker betonen, dass die Sprache allein gesellschaftliche Ungleichheiten nicht aufheben kann. Es besteht die Gefahr, dass die Einführung von Genderformen als bloßes Symbol verstanden wird, während die eigentlichen Probleme, wie strukturelle Diskriminierung oder Ungleichheiten, weiterhin bestehen bleiben. Hier könnte der Vorwurf der falschen Indienstnahme von Sprache erhoben werden: Sprache wird nicht mehr als Kommunikationsmittel, sondern als Mittel zur Durchsetzung politisch-gesellschaftlicher Ziele genutzt.
- Schließlich wird auch die gesellschaftliche Akzeptanz von Verboten oder Geboten im Zusammenhang mit gendergerechter Sprache infrage gestellt. In einer pluralistischen Gesellschaft könnte es kontraproduktiv sein, eine bestimmte Sprachform vorzuschreiben oder andere Formen zu verbieten. Sprachwandel muss aus der Gesellschaft selbst heraus entstehen und darf nicht von oben auferlegt werden. Die Möglichkeit, gendersensible Sprache ohne Neografien zu nutzen, wäre eine adäquate Alternative, die weniger Widerstand in der Bevölkerung hervorrufen könnte.
Schluss
- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Alan Posener in Die Sprache als Fahne überzeugend darstellt, warum gendergerechte Sprache als notwendiger Teil des Sprachwandels zu sehen ist. Ihre Funktionalität mag noch unvollkommen sein, doch sie bildet einen wichtigen Schritt zur Inklusion aller Geschlechter und zur Sensibilisierung für gesellschaftliche Ungleichheiten.
- Posener argumentiert für die Weiterentwicklung der Sprache, um den gesellschaftlichen Wandel sprachlich sichtbar zu machen. Die befürwortenden Argumente zur gendergerechten Sprache, wie die Förderung von Sprachsensibilität und der Abbau von Geschlechterstereotypen, überwiegen die kritischen Stimmen, die auf Verständlichkeitsprobleme und gesellschaftliche Akzeptanz hinweisen.
- Letztlich muss die Weiterentwicklung der Sprache im Einklang mit den natürlichen Prozessen des Sprachwandels stehen, ohne dabei künstliche Manipulationen vorzunehmen oder die Kommunikationsfunktion der Sprache zu beeinträchtigen.