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Basiswissen

Aufgabe 3

Textbezogenes Schreiben: Interpretation literarischer Texte

Thema:
Franz Kafka (* 1883 - † 1924): Der Schlag ans Hoftor (1931)
Juli Zeh (* 1974): Corpus Delicti. Ein Prozess (2009)
Aufgabenstellung:
  • Interpretiere die Erzählung Der Schlag ans Hoftor von Franz Kafka.
    (60 %)
  • Vergleiche die Figur des Ich-Erzählers und seine Situation in der Erzählung Der Schlag ans Hoftor mit der Figur Mia Holl und ihrer Situation in Juli Zehs Roman Corpus Delicti. Ein Prozess.
    (40 %)
Material
Der Schlag ans Hoftor (entstanden 1917, veröffentlicht 1931)
Franz Kafka
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Es war im Sommer, ein heißer Tag. Ich kam auf dem Nachhauseweg mit meiner
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Schwester an einem Hoftor vorüber. Ich weiß nicht, schlug sie aus Mutwillen ans Tor
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oder aus Zerstreutheit oder drohte sie nur mit der Faust und schlug gar nicht. Hundert
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Schritte weiter an der nach links sich wendenden Landstraße begann das Dorf. Wir
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kannten es nicht, aber gleich nach dem ersten Haus kamen Leute hervor und winkten
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uns, freundschaftlich oder warnend, selbst erschrocken, gebückt vor Schrecken. Sie
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zeigten nach dem Hof an dem wir vorübergekommen waren, und erinnerten uns an
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den Schlag ans Tor. Die Hofbesitzer werden uns verklagen, gleich werde die Unter-
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suchung beginnen. Ich war sehr ruhig und beruhigte auch meine Schwester. Sie hatte
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den Schlag wahrscheinlich gar nicht getan, und hätte sie ihn getan, so wird deswegen
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nirgends auf der Welt ein Beweis geführt. Ich suchte das auch den Leuten um uns
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begreiflich zu machen, sie hörten mich an, enthielten sich aber eines Urteils. Später
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sagten sie, nicht nur meine Schwester, auch ich, als Bruder werde angeklagt werden.
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Ich nickte lächelnd. Alle blickten wir zum Hof zurück, wie man eine ferne Rauchwolke
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beobachtet und auf die Flamme wartet. Und wirklich, bald sahen wir Reiter ins weit
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offene Hoftor einreiten. Staub erhob sich, verhüllte alles, nur die Spitzen der hohen
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Lanzen blickten. Und kaum war die Truppe im Hof verschwunden, schien sie gleich
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die Pferde gewendet zu haben und war auf dem Wege zu uns. Ich drängte meine
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Schwester fort, ich werde alles allein ins Reine bringen. Sie weigerte sich, mich allein
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zu lassen. Ich sagte, sie solle sich aber wenigstens umkleiden, um in einem besseren
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Kleid vor die Herren zu treten. Endlich folgte sie und machte sich auf den langen Weg
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nach Hause. Schon waren die Reiter bei uns, noch von den Pferden herab fragten sie
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nach meiner Schwester. Sie ist augenblicklich nicht hier, wurde ängstlich geantwor-
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tet, werde aber später kommen. Die Antwort wurde fast gleichgültig aufgenommen;
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wichtig schien vor allem, daß sie mich gefunden hatten. Es waren hauptsächlich zwei
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Herren, der Richter, ein junger lebhafter Mann und sein stiller Gehilfe, der Aßmann
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genannt wurde. Ich wurde aufgefordert in die Bauernstube einzutreten. Langsam,
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den Kopf wiegend, an den Hosenträgern rückend, setzte ich mich unter den scharfen
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Blicken der Herren in Gang. Noch glaubte ich fast, ein Wort werde genügen, um mich,
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den Städter, sogar noch unter Ehren, aus diesem Bauernvolk zu befreien. Aber als ich
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die Schwelle der Stube überschritten hatte, sagte der Richter, der vorgesprungen war
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und mich schon erwartete: Dieser Mann tut mir leid. Es war aber über allem Zweifel,
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daß er damit nicht meinen gegenwärtigen Zustand meinte, sondern das, was mit mir
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geschehen würde. Die Stube sah einer Gefängniszelle ähnlicher als einer Bauern-
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stube. Große Steinfließen, dunkel, ganz kahle Wand, irgendwo eingemauert ein eiser-
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ner Ring, in der Mitte etwas, das halb Pritsche, halb Operationstisch war.

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Könnte ich noch andere Luft schmecken als die des Gefängnisses? Das ist die große
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Frage oder vielmehr, sie wäre es, wenn ich noch Aussicht auf Entlassung hätte.

Aus: Franz Kafka: Beim Bau der Chinesischen Mauer. Ungedruckte Erzählungen und Prosa aus dem Nachlaß. Hrsg. von Max Brod und Hans Joachim Schoeps. Berlin: Gustav Kiepenhauer Verlag 1931, S. 51-53.
(Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen der Textquelle.)

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