Aufgabe 1
Interpretation eines literarischen Textes
Thema: Wilhelm Müller (* 1794 - † 1827): Ungeduld (1821)Mascha Kaléko (* 1907 - † 1975): Solo für Frauenstimme Aufgabenstellung:
- Interpretiere das Gedicht Ungeduld von Wilhelm Müller. (ca. 60 %)
- Vergleiche die Gestaltung der Liebeserfahrung mit der in Solo für Frauenstimme von Mascha Kaléko. Berücksichtige dabei auch sprachliche und formale Aspekte. (ca. 40 %)
1
Ich schnitt’ es gern in alle Rinden ein,
2
Ich grüb’ es gern in jeden Kieselstein,
3
Ich möcht es sä’n auf jedes frische Beet
4
Mit Kressensamen, der es schnell verrät,
5
Auf jeden weißen Zettel möcht ich’s schreiben:
6
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.
7
Ich möcht mir ziehen einen jungen Star,
8
Bis dass er spräch’ die Worte rein und klar,
9
Bis er sie spräch’ mit meines Mundes Klang,
10
Mit meines Herzens vollem, heißen Drang;
11
Dann säng’ er hell durch ihre Fensterscheiben:
12
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.
13
Den Morgenwinden möcht ich’s hauchen ein,
14
Ich möcht es säuseln durch den regen Hain;
15
O, leuchtet’ es aus jedem Blumenstern!
16
Trüg’ es der Duft zu ihr von nah und fern!
17
Ihr Wogen, könnt ihr nichts als Räder treiben?
18
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.
19
Ich meint’, es müsst’ in meinen Augen stehn,
20
Auf meinen Wangen müsst’ man’s brennen sehn,
21
Zu lesen wär’s auf meinem stummen Mund,
22
Ein jeder Atemzug gäb’s laut ihr kund;
23
Und sie merkt nichts von all dem bangen Treiben:
24
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben!
Aus: Gedichte der Romantik, Hrsg. Wolfgang Frühwald, Reclam Stuttgart 1984, erweiterte Auflage 2012, S. 400. Solo für Frauenstimme Mascha Kaléko
1
Wenn du fortgehst, Liebster, wird es regnen,
2
Klopft die Einsamkeit, mich zu besuchen.
3
Und ich werde meinem Schicksal fluchen.
4
Deine Tage aber will ich segnen.
5
Du drangst wie Sturmwind in mein junges Leben,
6
Und alle Mauern sanken wie Kulissen.
7
Du hast das Dach von meinem Haus gerissen.
8
Doch neuen Schutz hast du mir nicht gegeben.
9
So starb ich tausendmal. Doch da du kamst,
10
Mocht ich das Glück, dir nah zu sein, nicht stören.
11
Wie aber solltest du mein Schweigen hören,
12
Da du doch nicht einmal mein Wort vernahmst ...
Aus: In meinen Träumen läutet es Sturm. Gedichte und Epigramme aus dem Nachlaß, Hrsg. Gisela Zoch-Westphal, dtv München 1977, S. 13.
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Einleitung
- Das vorliegende Gedicht Ungeduld von Wilhelm Müller wurde im Jahr 1821 veröffentlicht. Das Lyrische Ich bringt im Laufe des Gedichts seine Liebe auf unterschiedliche Art und Weise zum Ausdruck. Insgesamt thematisiert das Werk die tiefe Sehnsucht und unerfüllte Liebe des Lyrischen Ich gegenüber seiner Geliebten.
- Müllers literarisches Werk zählt zu den Volksliedern aus dem 19. Jahrhundert und ist Teil seines Liederzyklus Die schöne Müllerin. Es zeichnet sich durch typische romantische Motive wie Sehnsucht, Liebe, Emotionen sowie Naturverbundenheit aus.
Hauptteil
Formale Analyse- Das Gedicht besteht aus vier Strophen mit jeweils sechs Versen und zeichnet sich insgesamt durch einen fließenden, klangvollen Charakter aus. Es spricht ein Lyrisches Ich und das Personalpronomen „Ich“ wird mehrfach wiederholt. Außerdem liegt ein durchgängiger Paarreim und ein jambisches Versmaß vor.
- Der Parallelismus (Vgl. V. 1, 2, 3) intensiviert das Gefühl von Liebe und bedingungsloser Hingabe. Das Lyrische Ich möchte seine Liebe auf unterschiedliche Weisen manifestieren.
- Die Personifikationen verleihen der Natur menschliche Züge und Eigenschaften und lassen z. B. den „jungen Star“ (V. 7) sprechen (Vgl. V. 8). Sie sorgen für Authentizität und Lebendigkeit im Gedicht und ermöglichen der Leserschaft, sich besser in die Gefühlswelt des Lyrischen Ich hineinzuversetzen.
- Auch die rhetorische Frage „Ihr Wogen, könnt ihr nichts als Räder treiben?“ (V. 17) betont die Vermenschlichung der Natur und die Ohnmacht des Lyrischen Ich, welches hierbei die Macht und Kraft der Natur infrage stellt.
- Das „Herz“ (V. 6) hat leitmotivischen Charakter und steht symbolisch für die Liebe und tiefe Sehnsucht des Lyrischen Ich.
- Außerdem verwendet der Autor zahlreiche Metaphern (z B. „Den Morgenwinden möcht ich’s hauchen ein“, V. 13), die die Intensität der Gefühle des Lyrischen Ich weiter verstärken. Dafür sorgen auch ausdrucksvolle Adjektive wie z. B. „vollem, heißen Drang“ (V. 10).
- Die Synästhesie „Auf meinen Wangen müsst’ man’s brennen sehn“ (V. 20) unterstützt die intensive, emotionale und leidenschaftliche Atmosphäre im Gedicht und verbindet in diesem Fall auf anschauliche Weise den visuellen mit dem taktilen Sinnesreiz.
- Die zahlreichen Wiederholungen (z. B. „Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.“, V. 6, 12, 18, 24; „Ich möcht“, V. 3, 7, 14) und Anaphern (z. B. V. 1-3; 8 und 9) drücken die beständige Sehnsucht des Lyrischen Ich sowie die Ungeduld, seiner Liebe endlich Ausdruck zu verleihen, aus.
- Die Antithese „Ihr Wogen, könnt ihr nichts als Räder treiben? / Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.“ (V. 17 f.) bringt die vermeintliche Aussichtslosigkeit und Verzweiflung, die im Gegensatz zur Hoffnung des Lyrischen Ich und Beständigkeit der Liebe steht, auf den Punkt.
- Direkt zu Beginn des Werks wird deutlich, dass das Lyrische Ich seine Emotionen und Gefühlen in Bezug auf seine Geliebte ausdrücken möchte. Das Erzählen aus der 1. Person Singular im gesamten Gedicht verstärkt den persönlichen Ausdruck des Lyrischen Ich. Das Lyrische Ich spricht zu einem Lyrischen Du (der Müllerin).
- Das Lyrische Ich beschreibt in allen vier Strophen unterschiedliche Arten, wie es seiner Liebe angemessen Ausdruck verleihen möchte. Dies gelingt ihm u. a. durch die Natur und Tätigkeiten wie dem Singen (Vgl V. 7-11) oder Schreiben („Auf jeden weißen Zettel möcht ich’s schreiben:“, V. 5).
- Bereits in der ersten und zweiten Strophe macht er seine Gefühle in der Natur sichtbar, wie durch die zahlreichen Prädikate (z. B. „schnitt’“, V. 1; „sä’n“, V. 3) deutlich wird. Die Verse „Ich möcht es sä’n auf jedes frische Beet / Mit Kressensamen, der es schnell verrät“ (V. 3, 4) veranschaulichen, dass das Lyrische Ich seine Liebe schnell wachsen und blühen lassen möchte.
- Das Lyrische Ich kann oder möchte seine Gefühle nicht selbst nach außen tragen oder sie seiner Geliebten kommunizieren. Stattdessen soll die Natur diese Aufgabe übernehmen und wird zum Vermittler seines Liebesgeständnisses. Auch der „Star“ (V. 7) soll zum Bote seiner Liebe werden (Vgl. 7-11).
- Es fällt auf, dass der Vers „Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben“ (V. 6, 12, 18, 24) insgesamt vier Mal in Müllers Werk, jeweils am Ende jeder Strophe, auftaucht und somit die Beständigkeit und Ernsthaftigkeit der Liebe des Lyrischen Ich, die „ewig“ andauern soll, verdeutlicht. Es möchte seiner Geliebten die Ernsthaftigkeit und Kontinuität seiner Liebe deutlich machen.
- Auch die dritte und vierte Strophe des Gedichts handeln von verschiedenen Ausdrucksweisen der Liebe des lyrischen Sprechers. In jeglichen Naturerscheinungen soll diese Liebe präsent sein. Der „Morgenwind“ (V. 13), der „Duft“ (V. 16) der Natur und sogar der eigene „Atemzug“ (V. 22) verkünden der Geliebten die tiefe Liebe zu ihr.
- Die rhetorische Frage „Ihr Wogen, könnt ihr nichts als Räder treiben?“ (V. 17) in der dritten Strophe des Gedichts drücken jedoch die Hoffnungslosigkeit und Resignation des Lyrischen Ich aus. Das Lyrische Ich frustriert es, dass selbst die Räder der Wassermühle seine Liebe nicht an die vergötterte Müllerin übermitteln können. Der Vers betont jedoch auch die Ohnmacht und Passivität des Lyrischen Ich.
- Auffällig ist ebenfalls, dass die Intensität in der Beschreibung seiner Emotionen im Laufe des Gedichts deutlich zunimmt. Es scheint unübersehbar, dass das Lyrische Ich für seine Geliebte intensive Gefühle hegt (Vgl. V. 19-21) und trotzdem wird am Ende deutlich, dass die Müllerin trotz aller Bemühungen seine Liebesbotschaften nicht erkennt und damit auch nicht erwidern kann („Und sie merkt nichts von all dem bangen Treiben:“, V. 23). Doch selbst die Tatsache, dass seine Gefühle nicht erwidert werden, hält das Lyrische Ich nicht davon ab, seine Geliebte ewig zu lieben (Vgl. V. 24).
Fazit
- Das Lyrische Ich versucht im Gedicht auf vielfältige Art und Weise sein Liebesverständnis für seine Geliebte zu bekunden. Seine Hingabe wird von der Geliebten zwar nicht wahrgenommen, seine Sehnsucht wird im Laufe des Gedichts jedoch sehr deutlich. Es unternimmt unterschiedliche Versuche, seine Liebe auszudrücken. An keiner Stelle im Gedicht gelingt es ihm jedoch, seiner Geliebten direkt zu vermitteln, was es für sie empfindet. Diese Aufgabe wird der personifizierten Natur übertragen.
- Das Gedicht stammt aus der gefühlsbetonten Epoche der Romantik und stellt die hingebungsvolle Liebe eines Lyrischen Ich zu seiner Geliebten in den Vordergrund der Handlung. Die zahlreichen Stilmittel, die der Autor verwendet, verstärken die Emotionalität im Gedicht.
- Das Schicksal des Lyrischen Ich macht deutlich, dass Liebe ein komplexes Gefühl ist, die Erfahrung von Liebe nicht selten von Schwierigkeiten geprägt ist und Liebe trotzdem grenzenlos und bedingungslos existieren kann.
Teilaufgabe 2
Überleitung
- Auch Mascha Kalékos Gedicht Solo für Frauenstimme thematisiert die Liebeserfahrung eines Lyrischen Ich. In diesem Fall handelt es sich um eine lyrische Sprecherin. Die Autoren Kaléko und Müller behandeln das Thema Liebe in ihren Gedichten jedoch auf jeweils unterschiedliche Art und Weise.
- Im folgenden Vergleich sollen einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf die Liebeserfahrung in beiden Gedichten dargestellt werden. Dazu werden sowohl formale als auch inhaltliche Aspekte und Schwerpunkte herangezogen.
Hauptteil
Gemeinsamkeiten- Sowohl Müller als auch Kaléko thematisieren jeweils starke und intensive Gefühle, auch wenn diese Gefühle einen unterschiedlichen Ursprung haben. Ihren Gefühlen verleihen beide Lyrischen Sprecher auf kreative Weise Ausdruck. Die Tätigkeit des Schreibens ist ihnen gemein. Beide verspüren eine tiefe emotionale Verbindung zu der Person, die sie lieben.
- Eine weitere thematische Gemeinsamkeit beider Gedichte ist die Einsamkeit bzw. Unerreichbarkeit. Die Liebeserfahrung ist in beiden Gedichten einseitig und beide lyrischen Sprecher leiden darunter, dass ihre Liebe nicht erwidert wird. In dem Lyrischen Ich des ersten Gedichts löst diese Tatsache Frustration und Verzweiflung aus. Die Lyrische Sprecherin bei Kaléko wirkt enttäuscht, sie trauert und leidet unter ihrer „Einsamkeit“ (V. 2). Die Unerreichbarkeit mindert jedoch nicht die intensive Verbindung, die beide lyrischen Sprecher für das Lyrische Du jeweils verspüren (Ungeduld: „Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben!“, V. 24; Solo für Frauenstimme: „Deine Tage aber will ich segnen“, V. 4).
- Auch wenn das Gedicht von Kaléko nicht mit der Vielzahl an rhetorischen Mitteln bei Müller mithalten kann, arbeitet die Autorin mit einigen Personifikationen (z. B. „Klopft die Einsamkeit, mich zu besuchen.“, V. 2) und Metaphern („So starb ich tausendmal.“, V. 9), um die Gefühle ihrer lyrischen Sprecherin lebendiger zu machen.
- Thematisch gesehen sind die Ausgangspunkte der lyrischen Sprecher in den Gedichten zwei völlig andere. Das Lyrische Ich im ersten Gedicht sehnt sich nach seiner Geliebten und versucht, seine intensiven, positiven Gefühle und Emotionen mithilfe der Natur auszudrücken. Stattdessen denkt die lyrische Sprecherin im zweiten Gedicht über den Verlust der Liebe nach, der ihr extreme Herzschmerzen bereitet.
- Das Gedicht Ungeduld zeichnet sich durch eine leidenschaftliche Stimmung aus, wohingegen Solo für Frauenstimme einen eher bedrückenden und melancholischen Charakter aufweist. Trotz der Unerreichbarkeit seiner Liebe hat das Lyrische Ich im ersten Gedicht durchaus noch Hoffnung. Diese Hoffnung besteht im zweiten Gedicht nicht mehr und hat sich stattdessen in Resignation und Traurigkeit gewandelt.
- Außerdem fällt auf, dass Kalékos Gedicht in einfacher und direkter Sprache verfasst ist. Müllers Werk besticht im Gegensatz dazu durch seinen ausschweifenden Sprachstil und zahlreiche metaphorische Darstellungen.
Schluss
- Die beiden Gedichte berichten aus unterschiedlichen Perspektiven von der Liebeserfahrung. Bei Kaléko stehen eine traurige Trennung und der Verlustschmerz im Vordergrund. Hingegen lässt Müller ein Lyrisches Ich zu Wort kommt, das sich durch große Sehnsucht und ein starkes Verlangen nach einer Liebeserfahrung auszeichnet.
- Es lässt sich festhalten, dass die Werke abgesehen von ihrer Atmosphäre, Stimmung und sprachlichen Nuancen jedoch auch einige Gemeinsamkeiten zueinander aufweisen. Dazu zählen bspw. die intensiven Gefühle, die Einsamkeit sowie die schmerzhafte Erfahrung, dass die Liebe zu einer Person nicht erwidert wird.
- Der Gedichtvergleich zeigt insgesamt, wie facettenreich Liebe sein kann und wie unterschiedlich Liebeserfahrungen aussehen können. Damit gelingt es auch den Autoren, ihre Leserschaft zum Mit- und Nachdenken anzuregen.