Epochenmerkmale

Bevor wir uns mit den Epochen nach dem Expressionismus beschäftigen müssen wir uns noch einmal bewusst machen, dass Epochen Konstrukte der Literaturwissenschaft sind, die nachträglich über die Literaturgeschichte gestülpt wurden. Man muss also Epochenzuordnungen immer kritisch sehen und es ist durchaus üblich, dass nicht alle Merkmale einer Epoche auch in einem Text der Epoche vorkommen. Besonders im 20. Jahrhundert ist der Stilpluralismus und das Nebeneinander verschiedenster Textformen und Strömungen kaum mehr zu fassen.
Auf einen Blick
  • Zeit: 1930 (1933) - 1945 (1960)
  • Geschichtlicher Hintergrund: Nationalsozialismus und der zweite Weltkrieg
  • Autoren: Autoren, die gegen die Entwicklung in Deutschland sind und jüdische Autoren, die aus dem Land fliehen, für freie Meinungsäußerung und Sicherheit.
  • Merkmale: Freie Verse, freie Rhythmen, offene Formen.
  • Themen: Natur als Bildbereich für politische und gesellschaftliche Kritik und Konfliktdarstellung.

Definition

Den Begriff Exilliteratur zu definieren ist insofern einfach, dass alle Texte, die von deutschsprachigen Autoren im Exil, meistens in England, Nord- oder Südamerika verfasst wurden unter den Begriff fallen. Das ist natürlich nur die oberflächliche Sichtweise und wird der Vielfältigkeit der Zeit nicht gerecht. Sehr viele Autoren nutzen die Textproduktion einerseits, um grausame eigene Erfahrungen zu verarbeiten und andererseits, um eine gesellschaftskritische und aufklärerische Funktion nachzugehen. Faschismus, Diktatur, Verfolgung und die strenge Zensur von Literatur zwangen viele Autoren dazu, das Land zu verlassen und von außen die Geschehnisse zu beobachten und ihr Schaffen im Ausland fortzusetzen.
Im Inland entstand Literatur unter nationalsozialistischem Einfluss mit Führerideologie und Irrationalismus, die als Gegenposition zu den Texten gesehen werden kann, die im Exil zeitgleich entstehen. Ansonsten ist es nahezu unmöglich eine gemeinsame Tendenz auszumachen, da die Autoren weniger miteinander vernetzt sind und in der ganzen Welt verteilt arbeiten. Die Situation im Heimatland, die Flucht, das Exil selbst, der Kulturkonflikt im neuen Land, die wirtschaftlichen Probleme einer neuen Existenzgründung und familiäre Probleme durch die Flucht können Themen der Exilliteraur sein.

Naturbegriff

Die Naturauffassung änderte sich insofern, dass die Natur Mittel zum Zweck wird. Natur als Metaphher um politische und gesellschaftliche Probleme zu thematisieren und in Texte zu integrieren. Die naive Naturauffassung und der Eskapismus, also die Flucht in die Natur, durch die Naturmagische Schule ist überholt. Die Formausflösung der Zeit und das Verfassen von Gedichten über Naturgedichte in sachlich, nüchterner Art mit vielen Enjambements und mit freien Rhythmen wurden typisch.

Bertolt Brecht

Der Autor Bertolt Brecht hatte eine ziemlich lange Schaffenszeit. Er lebte von 1898 bis 1956 und veröffentlichte zwischen 1913 und 1957 verschiedenste Texte, wodurch er allein zeitlich kaum in eine Epoche oder Strömung des 20. Jahrhunderts einzuordnen ist. Grundsätzlich hat er die Auffassung von Mensch und Natur als untrennbar verbundene Instanzen aufgelöst. Die Natur ist nicht mehr idyllisch verklärt oder religiös aufgeladen und wird nicht mehr ganzheitlich gesehen. Die Naturdarstellung in der Literatur dient Brecht und auch anderen Autoren dazu, die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten darzustellen. Durch die Natur werden die Missstände, besonders durch den Nationalsozialismus und die Kriegszeit und die daraus resultierende Bedrohung für die Bevölkerung gezeigt.
Formal äußert sich diese Abkehr von der idealisierten Natur durch freie Rhytmen und unregelmäßige Formatierungen. Brecht selbst sieht dadurch die Gedanken des rezipienten gefordert und vermeidet den einschläfernden Charakter mancher regelmäßigen Rhythmen.
1938 verfasste Brecht im Exil nicht nur unser Beispielgedicht sondern auch das Gedicht „An die Nachgeborenen“ mit den berühmt gewordenen Versen:

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Hierbei fällt sofort der politische und gesellschaftliche Kritikpunkt und die Kopplung an die Natur als Metapher auf. Das Zitat wurde häufig diskutiert und in anderen Texten auch immer wieder aufgenommmen, umgewandelt und verarbeitet. Es zielt gegen die Herrschaft des Nationalsozialismus und kritisiert die Menschen, die über die Verbrechen schweigen und stattdessen an literarischen Formen von zuvor festhalten, die Naturdichtung nach altem Konzept weiterführen und neue Themen nicht in neuer Sprache umsetzen.

Beispiele

Frühling 1938 (Strophe III, Bertolt Brecht, 1938)

Abb. 1: Frühling 1938 (Strophe III), Bertolt Brecht (1938)
Sund = Meerenge oder Meeresstraße.
Weiden = Die Zweige der blühenden Weide werden in einigen Gemeinden an Palmsonntag als Ersatz für die Palmzweige in der Prozession verwendet.

Die letzte Strophe thematisiert drei Figuren(-gruppen):
  • Bauern / Menschen: Sie sind abergläubig und verstehen die politischen Geschehnisse nicht. Der nahende Tod durch den Krieg ist ihnen nur unterbewusst, durch den Kauz präsent.
  • Das lyrische Ich / Der Dichter: Er hat die Situation bereits durchschaut und ihm sind die Folgen des weltpolitischen Geschehens lange bewusst.
  • Die Herrschenden: Sie werden durch das lyrische Ich für den nahenden Tod der Menschen verantwortlich gemacht. Das lyrische Ich hat ihr Handeln durchschaut und sieht es nicht verklärt im Gegensatz zu den anderen Menschen.


  • Weitere wichtige Beispieltexte der Epoche:
    • Mein blaues Klavier , Else Lasker-Schüler
    • Freies Geleit, Ingeborg Bachmann
    • Judengrab, Berthold Viertel
    • Nur eine Rose als Stütze, Hilde Domin
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